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Berlin: Dem Familienerbe auf der Spur

Peter Sachs will Plakate des Vaters zurückhaben. Die Nazis haben sie geraubt. Heute hängen sie im Deutschen Historischen Museum. Jetzt hat er sie besucht

Das Lächeln des Peter Sachs ist schief, etwas verlegen. Er ist kein Mann großer Worte. Trägt eine dicke gelbe Krawatte mit Wappenmuster. Ist gerade in Berlin angekommen. Das erste Mal seit 68 Jahren. Er hat keine Erinnerung an Berlin. Aber an die Ankunft im New Yorker Hafen damals, da war er 14 Monate alt. An die Schiffssirene, an die bunten Autos dort am Ufer, sagt er und verzieht den Mund. Wieder so ein schmales Lächeln. Ich weiß, das glaubt mir keiner, sagt Peter Sachs.

1938 war der Zahnarzt Hans Sachs, kurz nach seiner Entlassung aus dem KZ Sachsenhausen, mit seiner Frau und dem kleinen Peter emigriert. Sein Lebenswerk, die 12 500 künstlerische Poster umfassende größte Plakatsammlung der Welt, hatte die Gestapo konfisziert. Im Exil hat Hans Sachs keine Plakate mehr gesammelt. Erinnerungen an seine Leidenschaft hat er irgendwann aufgeschrieben. Dass ein Teil der Sammlung später in Ost-Berlin auftauchte und fachmännisch gewürdigt wurde, hat ihn gefreut. Eine Entschädigung von 225 000 DM für den Verlust des Schatzes hat ihm die Bundesrepublik gezahlt. Mit seinem Sohn hat er über die Flucht aus Deutschland kaum, über das Sammeln ein bisschen, über den Verbleib der Kollektion nie gesprochen. Eine wortkarge Familie.

Jetzt ist Peter Sachs 70, Pilot im Ruhestand. Der Vater starb 1974. Die Mutter hat dem Sohn erst 1986 Details zur familiären Vergangenheit auf eine Kassette gesprochen. Nachforschungen über die Plakatsammlung lehnte sie ab aus Angst um ihre kleinen Wiedergutmachungszahlungen aus Deutschland. Sie stirbt 1998: das Jahr, in dem sich Deutschland in der Washingtoner Raubgut-Erklärung verpflichtet, Museumsbestände auf ihre zweifelhafte Herkunft zu durchleuchten. Peter Sachs stößt 2005 beim Surfen im Internet auf die Existenz einer Sachs-Sammlung im Deutschen Historischen Museum (DHM). Sein Anwalt schreibt nach Berlin. Eine Antwort vom Museum erhält der Erbe nie.

Jetzt ist er in Berlin auf den Spuren seines Vaters, dem er gern viele Fragen stellen würde. „Ein faszinierender Mann“, sagt der Sohn. Hans Sachs war ein Parodontose-Forscherpionier, er hat eine Gesellschaft zur Verbesserung der deutschen Sprache gegründet. Sachs jr. hat, ohne an den Vater zu denken, amerikanische Poster gesammelt. Ein gerettetes Plakat aus dem alten Europa hängt in Florida im Wohnzimmer. Es ist von Théophile-Alexandre Steinlen aus dem Jahr 1897: Fräulein in rotem Kleid milchtrinkend auf dem Sofa, davor eine sehnsüchtige Katze. Das hing früher in der Wohnung der Eltern. Eingefrorene Gefühle. Tauwetter. Gedächtnispuzzle. Erinnerungssplitter. „Ich fühle keine Bitterkeit“, sagt Peter Sachs. „Es geht um mein Erbe.“

Das Lächeln des DHM-Sammlungsleiters Dieter Vorsteher ist strahlend, ziemlich aufgeklebt. Peter Sachs steht im Foyer des Museums. Kamerateams, Fotografen, Reporter. Das Museum stritt ab, dass es überhaupt eine juristische Grundlage für die Rückgabe der Plakate gibt: „Es gibt keinen Rechtsstreit, es gibt Rechtsanwaltsbriefe“, sagte DHM-Direktor Hans Ottomeyer. Erst auf Druck von Kulturstaatsminister Bernd Neumann akzeptierte das DHM, dass die für solche Fälle gegründete Beratende Kommission eingeschaltet wird. Der DHM-Anwalt Lutz von Pufendorf hat Peter Sachs „wenig Wahrheitsliebe“ unterstellt. Nun wird der Diskreditierte freundlichst durchs Haus geführt. Fragen nach seinen Gefühlen ignoriert er. Nur wenige Stücke aus der Sammlung seines Vaters sind ausgestellt. Seit sich die Debatte über die Restitutionsforderungen jüdischer Familien an deutsche Museen zuspitzt, verändern sich die Angaben des DHM über die Größe der Sachs-Sammlung. 1992 hieß es, die Kollektion umfasse 8000 Bilder, dann war von 4500 die Rede. Schließlich von 3700.

Er würde sich gern ein paar davon ins Haus hängen, sagt Peter Sachs. Und weltweit Museen kontaktieren, die bereit sind, ein Großteil tatsächlich auszustellen, statt sie im Keller verschwinden zu lassen. Vor einem Hakenkreuz-Plakat aus der Sammlung seines Vaters, das um 1920 zur Anprangerung von „Rassenschande“ einen hakennasigen Gnom und eine Blondine über einem Sarg mit der Schrift „Deutschland“ zeigt, sagt der Amerikaner auf wiederholte Anfrage: „Das schockiert mich nicht. Wir kennen die Geschichte.“ Über Judentum habe man zu Hause nicht gesprochen. Eher über die Künstler vieler Plakate, nicht über politische Aspekte. Dann rutscht ihm unvermittelt heraus: „Es ist ziemlich überwältigend.“ Der Sammlungsleiter bietet ihm an, anderntags einen Teil der Kollektion im Depot zu besichtigen.

Das Lächeln des Gary Osen ist breit und zuversichtlich. Er ist der amerikanische Anwalt des Sachs-Erben. Sein Berliner Partner, Matthias Druba, lächelt fein und schmal. Beim Interview lässt Osen diskret seinen Rekorder laufen. Sicher ist sicher. Für Sachs gehe es um persönliche Familiengeschichte, sagen die Anwälte. Er wisse nichts vom Kirchner-Fall, von der aktuellen Restitutionsdebatte. Für das Museum, das die Recherchen erschwert und Sammlungsverzeichnisse nach dem Restitutionsantrag plötzlich von der Homepage genommen, eine CD mit Sachs-Kollektion-Bildern auf einmal nicht mehr angeboten habe, gehe es offenbar um größere Zusammenhänge. Der DHM-Anwalt habe Peter Sachs als Lügner bezeichnet. Da sei man froh, dass die Beratende Komission, zu der Richard von Weizsäcker, Jutta Limbach und Rita Süssmuth gehören, Sachs eingeladen habe, um sich selbst ein Bild zu machen.

Am Samstag fliegt Peter Sachs zurück nach Florida. Seine Anwälte wollen ihm vorher noch zeigen, wo in Nikolassee, Burgunderstr. 10, das Haus seines Vaters stand und wo er selbst in der Lützowstraße sein erstes Jahr verbracht hat. „Sie wissen mehr über mein Leben als ich selbst“, sagt Peter Sachs und lächelt scheu, als sei ihm nicht klar, ob das ein Witz ist oder der Beginn einer Reise mit unbekanntem Ziel.

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