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Berlin: Dem Sog der Straße entkommen

Ein Wohnprojekt der Stadtmission versucht, Obdachlosen dauerhaft ein Dach über dem Kopf zu vermitteln. Dafür wird Geld gebraucht

Der erste Sommer in der eigenen Wohnung war für Torsten Jahnke nicht leicht – nach zehn Jahren auf der Straße. Da war diese Verlockung, wieder draußen zu leben. Wieso sitzt du hier in der Wohnung?, fragte er sich oft. Dann musste er sich vor Augen führen, dass auch wieder ein Winter kommt, mit eisigen Nächten. Manchmal packte Torsten Jahnke sich aber einfach etwas zu essen in den Rucksack und marschierte in den Tiergarten. Dort legte er sich dann mit dem Schlafsack unter den Sternenhimmel. Am nächsten Morgen war er wieder zu Hause.

Weg von der Straße wollte Torsten Jahnke eigentlich schon lange. Aber ohne die Hilfe der Leute von „Lehrter Plus“ hätte er es wohl bis heute nicht geschafft. Von dem Projekt erfuhr er in der Notübernachtung der Berliner Stadtmission in der Lehrter Straße. Eigentlich mied Jahnke solche Orte: zu viele Trinker und Leute mit Läusen. Er selber war nie Alkoholiker, worauf er stolz ist, und achtete auf sein Äußeres. Also schlief er lieber unter Brücken, auch in der bittersten Kälte. Bis ihm seine gesamte Habe gestohlen wurde.

Ein Mitarbeiter der Stadtmission, die „Lehrter Plus“ ins Leben gerufen hat, sprach ihn an. Zehn Wochen in einer betreuten Wohngemeinschaft mit anderen Obdachlosen, danach sollte möglichst bald der Umzug in die eigene Wohnung folgen. Das gefiel dem 42-jährigen Einzelgänger. Ihm graute vor einem langen Aufenthalt in einem überfüllten Wohnheim.

15 Leute bezogen dann im Frühjahr die WG in der Lehrter Straße. Dreier-Zimmer, jeder baute sich sein Bett selber aus Isomatten und Decken. Ansonsten war die Umstellung aber groß: morgens früh aufstehen, selber kochen und einkaufen, kein Alkohol, die Wohnung herrichten, gemeinnützige Arbeit. „Auf der Straße hatte es nur eine Regel gegeben“, sagt Jahnke: „Überleben.“ Nur rund die Hälfte der Teilnehmer überstand diese Prüfung. Doch außer Pflichten gab es auch Unterstützung, was in Projekten dieser Art nicht unbedingt die Regel ist. Oft heißt es nämlich: Besorg dir erstmal Papiere, wenn du einen Platz bei uns haben willst. „Wir arbeiten mit weniger Druck“, sagt Robert Fahnenstich von Lehrter Plus. Was auch deshalb möglich ist, weil das Projekt nicht mit Senatsgeldern, sondern mit Spenden finanziert wird. Die müssen allerdings fließen, damit auch im Frühjahr wieder 15 Leute einziehen können: um Strom zu bezahlen, einen Teil der Lebensmittel, Telefon, BVG-Karten, ein paar Ausflüge.

Als die zehn Wochen fast vorüber waren, hatte Torsten Jahnke mit einer Sozialarbeiterin einen Termin zur Wohnungsbesichtigung. Die Eigentümerin kam selbst, und zu seiner Überraschung durfte er die Wohnung haben: ein Zimmer, insgesamt 33 Quadratmeter. Er schläft auf dem Sofa. Wenn es jetzt draußen früh dunkel wird, fällt ihm manchmal wieder die Decke auf den Kopf. Dann geht er zu Hugendubel lesen oder in die Notübernachtung der Stadtmission und spricht mit den Mitarbeitern und alten Bekannten. TorstenJahnke rät dabei vielen Obdachlosen zum Ausstieg. Doch: „Man schafft es nur, wenn man es wirklich will.“

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