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Die Sozialpädagogischen Dienste in Berlin beklagen den Personalmangel: Sie seien "kaum noch arbeitsfähig".

© dpa

Demonstration: Berliner Sozialarbeiter protestieren gegen hohe Arbeitslast

Weniger Fälle, eine bessere Bezahlung für Nachwuchskräfte und eine Vertretungsreserve: Mit diesen Forderungen haben rund 150 Sozialarbeiter am Freitag vor der Senatsverwaltung für Jugend demonstriert.

Was tun, wenn der Vater das Gesicht seines sechsjährigen Sohnes gegen das Armaturenbrett seines Autos schlägt, wie gerade erst geschehen? Wenn ein Kind allein ist, weil die Mutter in die Psychiatrie muss? Wohin mit einem Säugling, dessen Eltern keine Wohnung haben, und mit einem Mädchen, das zu Hause missbraucht wird? Antworten auf Fragen wie diese muss der Kinderschutz finden, aber der fühlt sich zurzeit selbst schutzlos und demonstrierte am Freitag vor den Jugendstadträten, die in der Senatsverwaltung für Jugend turnusmäßig versammelt waren.

Es war das erste Mal, dass die Mitarbeiter des bezirklichen Kinderschutzes von Marzahn bis Zehlendorf gemeinsam protestierten. Die rund 150 Demonstranten hatten sich auf drei Kernforderungen geeinigt: weniger Fälle, eine bessere Bezahlung für Nachwuchskräfte und eine Vertretungsreserve.

„Wir sind im Schnitt ziemlich alt, weil jahrelang kaum Leute eingestellt wurden“, berichtet eine Teamleiterin aus Mitte. In der Folge gebe es viele Dauerkranke, deren Fälle mit übernommen werden müssten. Dies aber bringe die ohnehin schon überlasteten Mitarbeiterinnen an ihre Grenzen. Zwar würden mittlerweile neue Kräfte eingestellt. Die aber seien noch zu unerfahren, um die vorgeschriebene Fallzahl zu übernehmen. Somit steige der Druck auf die  übrigen Mitarbeiter noch mehr.

Jeder Besuch muss dokumentiert werden

Dabei geht es keineswegs nur um Kinderschutz. Zu den Aufgabengebieten des „Regionalen Sozialpädagogischen  Dienstes“, wie sich dieser Bereich der Jugendämter nennt, gehören auch Eingliederungshilfen, Gewaltmeldungen aus Schulen, häusliche Gewalt, die Beratung des Familiengerichts sowie die Betreuung von Jugendlichen, die in Alkoholsucht oder Kriminalität abzurutschen drohen. Hinzu kommt die Gewährung von Erziehungshilfen, wenn ein Kind beispielsweise eine Lerntherapie oder eine Psychotherapie braucht, zählt eine Sozialarbeiterin aus Kreuzberg-Friedrichshain auf.

Zu den vielen Aufgaben gesellt sich die Angst. „Wenn in unserem Bereich ein Kind stirbt, steht nicht der Bürgermeister vor Gericht, sondern wir“, klagt einer der Sozialarbeiter, der am Freitag vor dem Dienst zur Demonstration gegangen ist. Um nicht wegen angeblicher Untätigkeit belangt und beschuldigt zu werden, müsse jeder Besuch und jeder Anruf bei einer gefährdeten Familie dokumentiert werden, was zu einer weiteren Mehrbelastung führe.

Manche Sozialarbeiter müssen über 80 Fälle betreuen

Im Schnitt ist jeder Sozialarbeiter für 60 bis 65 Familien zuständig, zitiert der Jugendstadtrat von Mitte, Ulrich Davids (SPD) aus einer überbezirklichen Befragung. Manche Beschäftigte sprechen von über 80 Fällen, die sie zu betreuen hätten. Die Gewerkschaften GEW und Verdi setzen sich nun dafür ein, die Fallzahl auf 40 Familien zu reduzieren. Auch die Vorsitzenden der Jugendhilfeausschüsse in den Bezirken haben sich kürzlich in einem „Brandbrief“ dafür eingesetzt, eine Mindestausstattung für den Regionalen Sozialpädagogischen Dienst festzulegen. Einige Teams seien „kaum noch arbeitsfähig“. 

Bislang sind alle Proteste verpufft: Der Senat verweist auf die Bezirke und umgekehrt, auch das Abgeordnetenhaus hat bislang nicht durchgegriffen, weshalb die Sozialarbeiter ab jetzt jeden Dienstag um 10 Uhr weiße Fahnen aus ihren Fenstern hängen wollen – als Zeichen der Kapitulation vor ihrer Arbeitslast.

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