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Demonstration in Zehlendorf: Kernkraftgegner fordern Stilllegung und Abriss des Berliner Atomreaktors

„Achtung, Sie betreten die Evakuierungszone“. Am Mexikoplatz simulieren Aktivisten, was Anwohnern im Fall einer Kernschmelze im Forschungsreaktor auf dem Helmholtz-Zentrum droht.

Von Sandra Dassler

Ein gespenstisches Heulen und Wimmern legt sich über den Mexikoplatz. Übertönt das Werben der Händler auf dem Markt und das Trompeten des Straßenmusikers vor dem S-Bahnhof. Grellgelbe Fässer blockieren die Straße, Menschen in Schutzanzügen und mit Atemmasken fordern Fußgänger und Autofahrer zum Anhalten auf. Oder wenigstens zum Innehalten, sagt Adelheid L. und deutet auf ein Schild.

„Achtung, Sie betreten die Evakuierungszone für den Atomreaktor in Wannsee“ steht darauf und Adelheid L. erklärt, dass im Fall einer Havarie im Forschungsreaktor auf dem Helmholtz-Zentrum in Wannsee hier niemand mehr ohne Check auf Radioaktivität durchkommen würde. Jedenfalls nicht in Richtung Stadtmitte, also weg von der gefährlichen Strahlung im Fall einer Kernschmelze.

„Ich bin hier, weil ich als Ärztin weiß, dass ich den Menschen, die davon betroffen wären, nicht helfen könnte“, sagt Adelheid L. und schwenkt eine Dose, die an eine fast abgewickelte Küchenrolle erinnert und an der eine Feder aus Metall befestigt ist. „Mein Anti-Atomdonner“, erklärt sie, „nach einer Idee aus Neuseeland“. Wieder ertönt das gespenstische Heulen.

Gespenstisch finden die etwa 100 Atomkraftgegner, die sich an diesem Sonnabend auf dem Zehlendorfer Mexikoplatz versammelt haben, dass der Reaktor keine Hülle hat, die ihn vor Flugzeugabstürzen schützt. In den Flyern, die sie verteilen, ist auch von einem Riss im Kühlsystem die Rede und von ungeeigneten Materialien, die direkt am heißen Reaktorkern verbaut würden. Das Helmholtz-Zentrum selbst habe zugeben müssen, dass eine Kernschmelze infolge eines Flugzeugabsturzes nicht ausgeschlossen sei, sagt ein Sprecher, also werde man weiter kämpfen.

Schließlich soll der 1973 in Betrieb gegangene Forschungsreaktor nach eineinhalbjährigen Umbauarbeiten noch in diesem Monat wieder hochgefahren werden. Obwohl der letzte Strahlenbericht den Eindruck vermittelte, die kleine Nuklearanlage in Wannsee setze mehr Radioaktivität frei als manches Atomkraftwerk. Der Senat hat deshalb einen „Stresstest“ durch den TÜV Rheinland durchführen lassen, den der Reaktor nach Angaben einer Sprecherin bestanden hat. Von dem Riss, um den gestritten wird, sagen die Betreiber, er sei nicht sicherheitsrelevant. Die Atomkraftgegner bemängeln aber, dass sich der TÜV nur auf schriftliche Angaben verlassen und nicht vor Ort geprüft habe.

„Die Piratenpartei hat noch mal einen Antrag gestellt und an diesem Mittwoch werden in einer öffentlichen Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses mehrere Gutachter zu Wort kommen“, sagt Hauke Benner vom Anti-Atombündnis. Einer der Gutachter ist Karl Thilo Scholz, einstiger Konstruktionsleiter im Helmholtz-Zentrum. „So wie der Reaktor jetzt da steht, ist er nicht sicher“, sagt er.

Dass sich trotz einer solchen Aussage so wenige und vor allem so wenige junge Menschen den Demonstranten anschließen, erklärt sich eine etwa 70-jährige Aktivistin so: „Man hat den Berlinern viele Jahre eingeredet, dass es hier nur um Forschung geht und alles nicht gefährlich ist. Dabei lagert da schon jede Menge Atommüll.“ Viele Anwohner haben tatsächlich eine andere Meinung. „Ohne Atomkraftwerke steigen die Strompreise noch mehr“, befürchtet eine Marktfrau. Und der Wirt der Bahnhofs-Klause sagt: „Noch brauchen wir den Atomstrom. Und ich vertrau’ der deutschen Technik.“ Und schließlich gibt es auch am Mexikoplatz immer noch viele Menschen, die gar nicht wissen, dass in ihrer Nähe ein Reaktor steht.

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