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Berlin: Den Anfang macht das Wort

Was Berlins Justizsenatorin arabischen Eltern rät

Der Vater weiß nicht weiter. „Mein Sohn hat geklaut“, sagt er. Er ist Araber, um die 50. „Ich habe ihm dafür eine Ohrfeige gegeben. Da ging er zum Jugendamt und sagte, er wird zu Hause misshandelt. Dann suchen sie eine Wohnung für ihn. Aber seine Geldstrafe darf ich bezahlen!“ Blumige orientalische Formulierungen fehlen an diesem Abend. Klartext ist angesagt. „Sie müssen die Geldstrafe für Ihren Sohn überhaupt nicht bezahlen“, sagt Berlins Justizsenatorin Karin Schubert zu dem Mann. Aber schlagen dürfe er den Jungen auch nicht.

Mittwoch 18 Uhr, die Räume des „arabischen Wohltätigkeitsvereins Al-Huleh“ in Neukölln. Dutzende arabische und türkische Eltern sind da, Leute vom Jugendamt und die Justizsenatorin. Weil Straftaten von jugendlichen Ausländern seit Wochen ein Thema in Berlin sind. Jetzt wollen sie miteinander reden, die Eltern, die Behörden und die Politik. Einen Anfang machen.

Der Raum ist ein typisches Vereinslokal. 28 Fußballpokale reihen sich in Regalen an der Wand, der SC Al Quds hat sie gewonnen. Die arabischen Frauen tragen Kopftücher und setzen sich lieber nach hinten. Viele der Eltern hier fühlen sich ihren halbwüchsigen und aufmüpfigen Kindern oft nicht gewachsen – wie viele deutsche Eltern ja auch. Nur dass die Herkunft aus einer anderen Kultur und Sprachprobleme ihre Lage noch erschweren. Der Vertreter des Jugendamts sagt zu dem Vater, dessen Sohn gestohlen hat: „Wir wünschen uns, dass Sie in einem solchen Fall mit uns reden. Oft machen Eltern dicht und sagen nichts, und wir nehmen an, dass in der Familie Gewalt stattfindet, und schreiten ein.“

Die Probleme aussitzen

Aber das Reden, das fällt den Familien schwer. Dann müssten sie zugeben, dass zu Hause etwas schief läuft. Das wollen sie nicht. Es ist ihnen peinlich vor der Gemeinde. Deshalb tun sie lieber gar nichts. „Dass ein Kind ausziehen will, ist bei uns nicht üblich“, sagt Nader Khalil vom Verein Al-Huleh. „Es ist normal, dass Kinder irgendwann auf eigenen Beinen stehen wollen“, antwortet ihm Senatorin Schubert. „Zwei meiner Söhne haben beschlossen, woanders zu leben – einer von ihnen ist jetzt in Sao Paolo, einer in Peking. Auch Ihre Kinder haben mit 18 das Recht, für sich selbst zu entscheiden.“

Khalil sagt, arabische und türkische Familien seien groß, und Kinder spielten eine wichtige Rolle. „Aber manchmal fällt es den Eltern schwer, ihrer Verantwortung für die Kinder gerecht zu werden.“ Die Väter merken, dass sie die Chef-Stellung in der Familie eingebüßt haben, und wissen sich nicht zu helfen. Einer klagt: „Mein Sohn nennt mich nicht mehr Papa, sondern spricht mich mit dem Vornamen an. Er sagt auch ,Lass mich in Ruhe!‘. Wo bleibt da der Respekt?“ Und jetzt soll man das auch noch offen zugeben? Über diese Schwelle schafft es nur Khalil: „Glauben Sie uns, wir machen einen Wertewandel durch.“

Die Sache mit den Ohrfeigen

Schubert klärt auf, bemüht sich um klare Sprache, zeigt Verständnis. Kinder seien nicht immer gesetzestreu, sagt sie. Je intelligenter das Kind, desto genauer taktiere es, wo die Grenzen sind. Sie selbst hat drei Söhne großgezogen und weiß, was für eine Aufgabe das ist. Auch sie hat ein paar Mal Ohrfeigen verteilt, das tut ihr heute Leid. Regeln und Grenzen müssten gezeigt und erklärt werden. Sie blickt in freundliche, aber ratlose Gesichter. Wie soll man seinen Kindern erklären, was man selbst nicht so genau kennt?

„Mein Sohn ist 14, er geht zur Schule, aber er kann nicht lesen und nicht schreiben“, sagt eine Frau. „Ich habe alles mit ihm versucht. Der Direktor sagt, er ist bloß faul. Der Lehrer mag ihn nicht. Das Jugendamt sagt, er braucht eine Lesetherapie. Aber dann passierte nichts mehr. Ich habe gewartet, gewartet, gewartet.“ – „Auf gar keinen Fall warten!“, sagt Schubert. „Je später er lesen lernt, desto schlechter wird er es können.“ Was sie jetzt tun soll, weiß die Mutter immer noch nicht. Viele hier fühlen sich den deutschen Behörden ausgeliefert. Sie mucken nicht auf, weil sie denken, es schadet ihnen. „Nehmen Sie Ihre Rechte wahr“, sagt die Politikerin. „Sie können sich beschweren. Nehmen Sie sich einen Anwalt, der Ihnen hilft. Und wenn Sie ihn nicht bezahlen können, bezahlt ihn der Staat.“ Das haben viele noch nie gehört.

Ein bisschen haben sie sich aber doch angepasst. Als einer sagt, der Staat solle das Sprachproblem der Älteren lösen, nennt Schubert das lächelnd „typisch deutsch“. Seit sie hier sind, haben die Einwanderer vor allem Behörden kennen gelernt. Vielleicht lähmt ja ein Staat, der als so dominant empfunden wird, auf der anderen Seite die Eigeninitiative.

Fatina Keilani

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