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Berlin: Denken gegen das Vergessen

Das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, nimmt mit dem Alter unweigerlich zu. Aber kann man sein Gedächtnis schützen? Ja! Mit Lernen, Ausgehen, Sportmachen – und Fischessen

Zuerst kann man sich nicht mehr merken, was ein Gesprächspartner gerade kurz zuvor gesagt hat. Später findet man vielleicht vom Supermarkt nicht mehr nach Hause. Zum Schluss erkennen viele ihre liebsten Menschen nicht mehr, sie ändern ihr Verhalten, werden unruhig und sogar aggressiv.

Jeder hat Angst, das einmal zu bekommen: Demenz. Alzheimer ist die häufigste dieser Krankheiten. Weltweit leiden heute 24 Millionen Menschen unter einer Demenz, im Jahr 2040 könnten es schon doppelt so viele sein.

Denn Demenzerkrankungen sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Alterskrankheiten – und der moderne Mensch wird älter und älter. In der Gruppe der 60- bis 70-Jährigen ist einer von hundert betroffen, bei den 90- bis 94-Jährigen ist es schon fast jeder Dritte. Der Alzheimer-Forscher Christian Haass von der Ludwig-Maximilians-Uni München ist sogar davon überzeugt, dass alle Menschen an einer dieser Hirnleistungsstörungen erkranken würden, wenn sie nur lange genug leben.

Gegen Alzheimer gibt es inzwischen einige Medikamente, die den Verlauf etwas verzögern und die Selbstständigkeit der Betroffenen länger erhalten können. Sie zielen darauf ab, die Kommunikation zwischen den Nervenzellen im Gehirn zu erhalten, die von den für Alzheimer typischen Eiweißverklumpungen gestört wird. Die eine Gruppe, mit dem komplizierten Namen Acetylcholinesterase-Hemmer, sorgt dafür, dass ein Hirnbotenstoff, der von den Kranken in verringertem Maß produziert wird, im Gehirn länger verfügbar bleibt. Eine zweite Gruppe drosselt den Botenstoff Glutamat, bei dem umgekehrt ein Überangebot zu schaden scheint. Ursächlich gegen die sogenannten Amyloid-Eiweißplaques gerichtet sind sie beide nicht. Der große Durchbruch ist der Forschung aber bisher noch nicht gelungen. In einer älter werdenden Gesellschaft stellen sich also immer mehr Menschen die Frage: Kann ich etwas tun, um mein Erkrankungsrisiko zu senken?

Noch gibt es dazu aus der Wissenschaft nur Hinweise. Sie kommen zum Beispiel aus Experimenten mit Mäusen, in deren Erbgut Gene für Alzheimer eingeschleust wurden. Für eine Studie, die an der Uni Münster lief, bekam ein Teil der Versuchstiere Laufräder und Tunnel in den Käfig und musste Aufgaben lösen, um an Futter zu kommen. Die Vergleichsgruppe lebte in einem anregungsarmen Umfeld. Nach einiger Zeit zeigte sich: Die Mäuse, deren Umfeld körperliche oder geistige Anregungen bot, schnitten in Tests besser ab, in ihren Gehirnen fanden sich weniger gefährliche Eiweißablagerungen.

Eine der größten Studien mit Menschen läuft gerade in Rotterdam. Dort wird die Gesundheit von mehr als 10 000 Bürgern eines Bezirks der niederländischen Stadt, die zu Beginn über 55 Jahre alt waren, über Jahrzehnte verfolgt. Auch „in solchen Studien zeigt sich durchgängig, dass intellektuelle, soziale und körperliche Fitness mit einem niedrigeren Demenzrisiko einhergeht“, sagt Hans Förstl, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München. Sein Kollege Konrad Beyreuther, Professor für Molekularbiologie an der Uni Heidelberg, hat das kürzlich so in ein Rezept gefasst: zweimal eine halbe Stunde am Tag bewusst mit dem Gehirn arbeiten, Gesellschaftsspiele machen, Rätsel lösen, eine Sprache lernen, lesen, es zählt aber auch ein Besuch im Theater oder im Museum.

Die meisten Demenzerkrankungen, die im hohen Lebensalter auftreten, sind jedoch vermutlich auf eine Mischung mehrerer Veränderungen im Gehirn zurückzuführen. Zum Risiko wird damit automatisch alles, was schlecht für die Gefäße ist: hoher Blutdruck, schlechte Blutfettwerte, Zuckerkrankheit, Übergewicht, Rauchen Bewegungsmangel. Entgegenwirken könne man dem, sagt Konrad Beyreuther, mit ausreichend Bewegung – täglich 3000 bis 5000 Schritte gehen zum Beispiel, denn das fördert auch die Durchblutung des Gehirns und somit den Abtransport von Abfallstoffen – und einer angemessenen Ernährung, wie Ernährungswissenschaftler sie schon länger auch für die „Instandhaltung“ des restlichen Körpers empfehlen. Die bestehe, sagt Beyreuther, aus Gemüse, Obst (neutralisiert Zellgifte) – und viel Fisch. Die in Seefisch enthaltenen Omega-3-Fettsäuren sind auch wichtige Bestandteile der Zellmembranen, so wird dem Gehirn geholfen, ordentlich zu arbeiten. Aus Fettsäuren, wie sie in Oliven- oder Leinöl enthalten sind, kann der Körper sie aber auch selber basteln.

Ein Risikofaktor sind, wie man heute weiß, Depressionen, die unbehandelt bleiben. „Man braucht also einen guten Hausarzt, dem ein intaktes Gesundheitssystem den Rücken frei hält“, meint Psychiater Förstl.

Die gute Nachricht: Zu spät ist es für Gegenmaßnahmen nie. Immerhin – mittlerweile gilt als erwiesen, dass sich Gedächtnis und Denkfähigkeit auch in höherem Alter noch verbessern lassen und dass sich bei entsprechender Anregung auch Nervenzellen und die Verknüpfungen zwischen ihnen neu bilden können. Hirnforscher nennen das „neuronale Plastizität“.

Von einer Studie, die jetzt in Berlin startet, erhoffen sich Charité-Psychiatrie-Professorin Isabella Heuser und ihre Mitstreiter neue Erkenntnisse darüber, ob es sich positiv auf die Denkfähigkeit von Seniorinnen auswirkt, etwas Neues zu lernen oder sich intensiv körperlich zu bewegen. Die Versuchsanordnung von „Berlin bleibt fit“: Frauen über 70 nehmen dreimal die Woche an einem Computerkurs oder einem Bewegungsprogramm teil. Sie werden vor und nach dem Projekt psychologisch und sportmedizinisch untersucht. Zur Kontrolle werden auch Frauen getestet und untersucht, die keinen der Kurse mitmachen. Insgesamt sollen an den Kursen in verschiedenen Stadtbezirken zeitversetzt 250 Frauen teilnehmen. Die ersten Ergebnisse werden für Februar erwartet. Ob mit solchen Programmen langfristig etwas bewirkt oder gar schon Erkrankten geholfen werden kann, das sind ganz andere Fragen.

Die Psychologin Christa Matter von der Alzheimer-Gesellschaft Berlin ist täglich mit ihnen konfrontiert. „Angehörige, deren Vater oder Mutter erkrankt ist, wollen wissen, ob und wie sie sich vor Alzheimer schützen können.“ Matter findet es gefährlich, wenn an Studienergebnisse zu große Hoffnungen geknüpft werden. Im Extremfall könnte es dann passieren, dass einem an Alzheimer Erkrankten später auch noch die „Schuld“ zugeschoben wird, weil er nicht genug zur Vorbeugung getan habe. „Dabei wissen wir noch viel zu wenig über die Ursachen der Krankheit“, sagt Matter.

Charité-Studie : Mehr Informationen gibt es unter Telefon 84 45 84 47

Alzheimer-Gesellschaft Berlin : www.alzheimer-berlin.de oder Telefon 89 09 43 57.

Vortrag : „Altersleiden Demenz“, Donnerstag, 9. 11., Vivantes Forum für Senioren, Wohnpflegezentrum Steglitz, Leonorenstraße 17–33, Haus Leonore, 16 Uhr.

Hilfsnetzwerk für Demenzpatienten: Das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg hat sein Netz gerade ausgebaut, nun stehen berlinweit 15 Stellen bereit, Erkrankten und ihren Angehörigen Unterstützung anzubieten. Experten kommen zum Beispiel ins Haus und helfen dabei, eine Infrastruktur zu schaffen, die es Patienten ermöglicht, lange zu Hause zu bleiben. Kontakt: Telefon 82 09 72 31.

Adelheid Müller-Lissner

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