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Berlin: Der Angeklagte als Beweismittel

BERLIN .Für Unschuldige mag er wie die letzte Rettung scheinen.

BERLIN .Für Unschuldige mag er wie die letzte Rettung scheinen.Unter Juristen ist er mehr als umstritten.Der Lügendetektor, über den der Bundesgerichtshof gerade verhandelt, gilt weder bei Staatsanwälten noch bei Verteidigern in Berlin als überzeugender Weg zur Wahrheit.Generalstaatsanwalt Dieter Neumann beim Kammergericht gestern zum Tagesspiegel: "Ich bin dagegen.Das ist eben kein Fingerabdruck".Und Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge beim Landgericht: "Die Staatsanwaltschaft wird das nicht forcieren".Am heftigsten äußerte sich die Anwältin Ingeborg Rakete-Dombek, die auch für den Deutschen Juristinnenbund und die Familienrechts-Experten spricht: "Das Ding ist nicht sicher, und es ist geistig und körperlich beeinflußbar".

Der Lügendetektor, Polygraph, ist hierzulande vornehmlich aus amerikanischen Gerichtsfilmen bekannt.Und ungeachtet der Tatsache, daß er auch in den USA stark umstritten ist, wird er dort manchmal wie ein naturwissenschaftlicher Blick in die Seele des Menschen geschildert.Tatsächlich mißt er aber nur Erregungssymptome während einer Befragung."Er mißt Angst", wie ein Kritiker gesagt hat.Und er entfernt sich damit, wie der Vorsitzende des Verbandes der Staatsanwälte Jens Raupach kritisiert, von der Vorstellung, daß "Menschen über Menschen richten".

Gerade weil er, wie der Berliner Richterbunds-Vorsitzende Lothar Jünemann gestern sagte, den Menschen "zum Objekt seiner körperlichen Reaktionen macht", hat ihn das Bundesverfassungsgericht als Verstoß gegen die Menschenwürde abgelehnt.Vor dem Bundesgerichtshof geht es jetzt darum, ob ein Angeklagter einen solchen Test nicht doch zum Beleg seiner Unschuld in den Prozeß einführen darf.

Leidenschaftlicher Befürworter ist der Kölner Psychologie-Professor Udo Undeutsch, der vor allem die Schuldfrage bei Verbrechen an Kindern damit klären will.Sexueller Mißbrauch oder Vergewaltigung, das sind denn auch Fälle, in denen der Berliner Strafkammer-Vorsitzende Peter Faust sich eine Anwendung vorstellen kann: "Unter Fairness-Gesichtpunkten wäre es in 2-Personen-Prozessen - ein Opfer, ein Beschuldigter - doch kaum vertretbar, dem Angeklagten den Lügendetektor vorzuenthalten".Faust hat keine Bedenken, den Test "zu Gunsten des Angeklagten als ein Beweismittel unter anderen zuzulassen" - vorsichtig allerdings.Man müsse sich nur klarmachen, daß es hochgradig auf die Qualität und Erfahrung des Testers ankommt; daß keine Naturwissenschaft geliefert wird; und daß der Richter in seiner Urteils-Entscheidung trotzdem frei bleibt.

"Was ist aber, wenn das Ergebnis nicht den Erwartungen des Angeklagten entspricht?", fragt Generalstaatsanwalt Neumann.Wird das Gericht nicht das negative Ergebnis dann zu Lasten des Angeklagten verwerten, was es eigentlich nicht dürfte? Überhaupt nichts vom Lügendetektor hält auch der renommierte Berliner Strafverteidiger Wolfgang Ziegler, und zwar nicht nur wegen der Unzuverlässigkeit: "Wenn man das Gerät jetzt zulassen würde, gerät der Angeklagte bestimmt unter Druck, wenn er es ablehnt." Die Geschworenen "werden denken, er hat Dreck am Stecken, das wäre eine höchst gefährliche Entwicklung".Das wäre womöglich "mittelbarer Zwang", sich dem Test auszusetzen, hat der niedersächsiche Richter Bernd Volckart geschrieben, der sich ausführlich mit Udo Undeutsch auseinandergesetzt hat: "Das ist mit den Grundprinzipien eines am Freiheitsgrundrecht orientierten Prozesses unvereinbar".

Im deutschen Recht darf der Angeklagte prinzipiell lügen, er kann wegen unwahrer Aussagen nicht bestraft werden, und er darf nicht schwören.Das ist einer der Gründe, weshalb das hier undenkbare Verfahren gegen den amerikanischen Präsidenten häufig als Inquisitionsprozeß betrachtet wird.Den Angeklagten selbst zum "Beweismittel" zu machen, statt ihn lediglich als Subjekt des Verfahrens zu betrachten, widerspricht der deutschen Rechtsvorstellung, daß der Angeklagte nicht Zeuge in eigener Sache sein kann - und schon gar nicht mit seinen mehr oder weniger unbewußten Körperreaktionen.Diesen Gedanken wendet der Richter Bernd Volckart, scharfer Kritiker des Polygraphen, auch gegen den Lügendetektor ein.Die Gefahr von Fehlurteilen sei "der Preis", den man für das Verbot bestimmter Vernehmungsmethoden nun einmal zahlen müsse.

HANS TOEPPEN

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