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Berlin: Der Aufbauhelfer vom Potsdamer Platz

Daimler-Chrysler-Manager Hans-Jürgen Ahlbrecht gehört zu den Vätern des neuen Viertels. Jetzt verabschiedet er sich

Der Ärger liegt schon lange zurück, aber Hans-Jürgen Ahlbrecht kann ihn aus dem Stand heraufbeschwören: „Da hat diese grüne Abgeordnete damals behauptet, der Potsdamer Platz sei ja für Daimler eine Lizenz zum Gelddrucken.“ So ein Unfug, sagt er, die Milliarden-Investition habe dem Konzern bis heute keinen Euro eingebracht. Im Gegenteil: „So etwas wäre heute nicht mehr denkbar.“ Ahlbrecht kennt sich aus, er hat als langjähriger Geschäftsführer der Daimler-Chrysler-Immobilien-GmbH seinen Teil zum Wiederaufbau der Berliner Mitte beigetragen. Zum Jahresende räumt er sein Büro und tritt mit 62 Jahren in den Ruhestand – Ende des aktiven Berufslebens für einen, der 30 Jahre „beim Daimler“ verbracht hat.

Ahlbrecht, geboren in Österreich, hat zwar an der TU Berlin Wirtschaftsingenieurwesen studiert und in Betriebswirtschaft promoviert. Doch er geriet nur per Zufall in die Rolle eines der Väter des neuen Potsdamer Platzes. Nach drei Jahren als Leiter eines Lkw-Werks in Nigeria kehrte er 1990 als Chefcontroller zur Daimler-Tochter Debis nach Deutschland zurück – und sah sich quasi automatisch in der Rolle des Finanzchefs für das Jahrhundertprojekt in Berlin. Ursprünglich hatte Daimler-Benz nur eine Niederlassung an der Mauer bauen wollen, doch die Wende ließ die Pläne über alle Grenzen wachsen. „Wir waren damals zu fünft“, erinnert sich Ahlbrecht, „und wir reisten um die ganze Welt, um uns Ideen zu holen“. Dann kam die Runde hochinspiriert aus Hongkong zurück. Einen gläsernen Turm wollte sie bauen, bis in die Wolken, ein Wahrzeichen des neuen Berlins. „Aber dann sagte uns Senatsbaudirektor Stimmann, okay, aber nicht höher als 21 Meter 50.“

Ahlbrecht sprudelt über vor Geschichten, die die Daimler-Macher beim Poker mit ihren häufig wechselnden amtlichen Gesprächspartnern erlebt haben. Vor allem die Grünen, kurzfristig in der Regierungsverantwortung, träumten sich das Daimler–Areal als vorstädtische Multikulti-Idylle für Niedrigenergie-Wohngemeinschaften mit Windrad und Biogasgenerator – und das kollidierte hart mit der Vorstellung der Investoren, die an den ersten Planungen nicht einmal beteiligt wurden. Als sich die Verhandlungen über ein Einkaufszentrum konkretisierten, rechnete sich der Betreiber ECE 6500 Parkplätze aus. „Wir gingen damit zu Senatorin Schreyer“, berichtet Ahlbrecht mit sanftem Schaudern, „und sie sagte uns, tja, mehr als 156 kann ich nicht genehmigen.“ Das war der Anfang eines orientalisch anmutenden Verhandlungsmarathons: 2500 Parkplätze entstanden schließlich unterirdisch, weitere 1500 wurden in einem Parkhaus auf der anderen Seite des Landwehrkanals errichtet. Das aber war Kreuzberger Gelände, und der Bezirk erteilte die Erlaubnis erst, als Daimler versprochen hatte, auch noch eine Fußgängerbrücke vom Technikmuseum über den Kanal zu spendieren. Deren Sinn ist heute so unklar wie damals . . . Es wurde gefeilscht und gepokert und getrickst nach Kräften, und als die Investoren das seltsame Ergebnis des ersten öffentlichen Wettbewerbs mit einem eigenen Entwurf von Richard Rogers konterten, schlugen die Wellen der Empörung hoch.

Ahlbrecht, der von seinem Büro im sechsten Stock viele der architektonischen Glanzstücke des Areals sehen kann, ist inzwischen weit milder gestimmt als auf dem Höhepunkt der kafkaesken Verhandlungen. Ja, er ist richtig zufrieden. „110 Prozent!“, sagt er knapp, es habe sich gelohnt, das alles durchzustehen, weil ein Stadtteil entstanden ist, den die Menschen mögen und besuchen. Er selbst sitzt gern in der Marlene-Bar, liebt den Pool im achten Stock des Hyatt-Hotels und betrachtet das Werk, an dem er so großen Anteil hatte, am liebsten droben von der Dachterrasse des Kollhoff-Hauses. Mit Spannung erwartet er, ob die bevorstehende Eröffnung des Regionalbahnhofs neue Besucherscharen bringt, skeptisch betrachtet er die immer wieder verschobene Öffnung des Tiergarten-Tunnels, den er lieber direkt mit dem Schöneberger Südkreuz verbunden gesehen hätte.

Mit Daimler-Chrysler ist nun Schluss. Ahlbrecht gibt alle Funktionen in der Firma ab. Das heißt allerdings nicht, dass er sich nicht weiter für die TU engagiert und weiter zum Aufsichtsrat der Berlinwasser gehören wird. Und er wird sich auf dem Laufenden halten, was den Potsdamer Platz angeht, notfalls auch ohne Daimler: Die S-Bahn-Verbindung ins heimische Nikolassee gefällt ihm ganz ausgezeichnet.

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