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Berlin: Der Baustadtrat von Mitte gilt vielen als DDR-Nostalgiker, doch für den PDS-Mann ist jedes Schema zu eng

Sein Urteil ist klar: "Der kommt bestimmt nicht." Doch er ist schon da, steht mittenmang der Freunde und Mitglieder der "Gesellschaft Historisches Berlin", und der korpulente Mittfünfziger staunt: "Das der sich hertraut.

Sein Urteil ist klar: "Der kommt bestimmt nicht." Doch er ist schon da, steht mittenmang der Freunde und Mitglieder der "Gesellschaft Historisches Berlin", und der korpulente Mittfünfziger staunt: "Das der sich hertraut." Nicht nur das. Thomas Flierl diskutiert auf dem Gehsteig Unter den Linden über das Für und Wider der Rückkehr von drei Bronze-Standbildern. Die Denkmale von Yorck, Gneisenau und Blücher, so wollen es die Traditionalisten, sollen wieder an der Straße stehen. So will es auch Anita Scheunemann aus Grunewald: "Herr Flierl", fragt sie den Dezernenten, "was haben Sie gegen die Generäle?" Ihr Feindbild und das der "Gesellschaft Historisches Berlin" ist eindeutig: Mit Thomas Flierl, PDS-Baustadtrat von Mitte, steht ein DDR-Nostalgiker vor ihnen, der die Verhältnisse vor dem Mauerfall erhalten will. Seit einem Jahr ist er im Amt.

23 Baustadträte gibt es in Berlin. Aber keiner steht so unter Druck wie Thomas Flierl. Kein Baustadtrat, der häufiger zu den vorgeschalteten Senatoren zitiert wird, etwa, weil ihnen die Sichtweise des renitenten Dezernenten nicht passt. Keiner, der öfter den Zorn auf sich zieht, zum Beispiel, weil er dem wenig hübschen Nachkriegsbau der polnischen Botschaft Unter den Linden kurz vor ihrem Abriss einen hohen Denkmalwert attestierte. Keiner, der seine Amtsführung an einem vielstimmigen Chor von Kritikern messen lassen muss. Denn zum Boulevard Unter den Linden, zur Spandauer Vorstadt und zum Schloßplatz hat jeder etwas zu sagen und Vorschläge zu machen. Aber Thomas Flierl hat eigene Vorstellungen, will sie möglichst ohne Abstriche umsetzen. Zum Ruf des DDR-Nostalgikers gesellen sich deshalb im Wechsel zwei weitere Attribute: die des Verhinderers und Blockierers.

Weite Teile des Bezirks Mitte sind zwar seiner Zuständigkeit entzogen, weil sie zum "Entwicklungsbereich Hauptstadt" gehören, wo Bund und Land unter sich ausmachen, was passiert. Trotzdem gilt der Stuhl von Thomas Flierl als Schleudersitz. 1600 Baugenehmigungen jährlich erteilt seine Behörde, die Interessen von Investoren, die Milliarden in Mitte verbauen, und die des Bezirksamtes prallen kometengleich aufeinander. Da sind Bund, Lobbyisten-Verbände und Wirtschaftsbosse schnell mit dem Begriff "Posemuckel" bei der Hand, jenem, einst von Edzard Reuter geprägten Wort, das den provinziellen Charakter Berliner Bezirkspolitik brandmarken soll. Berlin-Mitte gilt als Werkstatt der Einheit, als Spiegelbild des Zusammenwachsens von Ost und West. Und da möchten viele ihr Scherflein beitragen.

Die Tage von Thomas Flierl sind gezählt. Sie waren es bereits bei seinem Amtsantritt. Nicht, weil ihm die Verordneten das Vertrauen entziehen würden, sondern weil der Bezirk Mitte am Ende des Jahres 2000 mit Wedding und Tiergarten zu einem großen Innenstadt-Bezirk verschmelzen wird. Dann fällt der Job des Baustadtrats, der zweitwichtigste nach dem Bürgermeister, an eine andere Partei, weil die PDS ihre starke Stellung - jetzt ist sie größte Fraktion in Mitte - im Großbezirk verlieren wird. Und Thomas Flierl seine Aufgabe. Bis es so weit ist, kämpft er sich durch das, was seine Kollegin Dorothee Dubrau die "Mühen der Ebene" nennt; denn die Stürme der Nachwendezeit haben sich gelegt. Die wichtigsten Würfel zur Stadtplanung sind gefallen.

In der Friedrichstraße schlägt er sich mit zerbröselnden Fensterscheiben am Kaufhaus Lafayette statt mit der Grundsatzfragen über die Zukunft der Einkaufsmeile herum. Im Vergleich zu den Entscheidungen, die in den vergangenen zehn Jahren anstanden, mutet Flierls fast schon Tagesgeschäft beschaulich an. Erst redet er mit den Managern einer Firma, die Parkscheinautomaten aufstellt und wartet, dann nimmt er sich Zeit, eine Stunde mit den Vertretern von "BILruF" (Bürger-Initiative Leben rund um den Fernsehturm") zu sprechen. Hier ist Flierl volksnah. Mit den beiden Herren im Vor-Ruhestandsalter steht er auf Dutzfuss.

Ideen wie dem Planwerk Innenstadt von Senator Peter Strieder steht Thomas Flierl nicht so kategorisch-ablehnend gegenüber wie seine Vorgängerin Karin Baumert. Er ist stattdessen Pragmatiker. Sie hatte noch schwere Geschütze wegen nicht genehmigter Geschosse auf dem Mosse-Palais am Leipziger Platz aufgefahren. Flierl bleibt in solchen Fällen ruhig. Beispiel Fischerinsel: Dort nimmt er die Ideen der Strieder-Verwaltung auf, um so ein Hochhaus zu verhindern, für das die Bauherren allerdings eine Baugenehmigung haben: aus dem Bezirksamt Mitte. Das will aber keiner, und erst recht nicht Thomas Flierl. Darüber lassen dann auch die Bauherren mit sich reden, wenn der Stadtrat neue Ideen und Konzepte vorschlagen kann. Und Flierl kann. Er passt in kein Schema. 1996 trat er aus der PDS aus und warf der Partei vor, reformunfähig zu sein. Seit einigen Monaten ist er wieder dabei. Zum offiziellen Termin mit Eberhard Diepgen kommt er mit dem Fahrrad, einen Dienstwagen gibt es nicht. Flierl hat auch kein Handy, sein Leinenhemd ist ungebügelt. Seine Perspektive ist durch die des promovierten Philosophen und Kulturtheoretikers geprägt. Ämterpapiere, wie der sogenannte Positivkatalog für Veranstaltungen auf den Straßen im Bezirk, tragen deutlich seine Handschrift, etwa wenn über den Rang des "nationalen Symbols Brandenburger Tor" geschreiben wird.

Als Ex-Chef des Kulturamtes in Prenzlauer Berg weiß er, mit Amtsleitern umzugehen. Auch diese haben ihren eigenen Kopf, wenn es darum geht, die Entwicklung des Bezirks zu steuern. Er läßt ihnen Freiheiten, gibt kaum Marschrouten vor und zeigt im Kleinen, was er in der Öffentlichkeit öfter anzetteln möchte, weil er es ausdauernd kann: debattieren. Doch dazu haben die wenigsten Zeit und noch weniger Lust.

Flierl ist selbstbewußt. Das merken auch seine beiden Stadtrats-Kollegen aus den Fusionsbezirken Wedding und Tiergarten. Zum Beispiel wenn es darum geht, die Ressorts der Stadträte und die Ämter, die künftig Leistungs- und Verantwortungszentren (LuV) heißen, neu zuzuschneiden. Da hat Flierl genaue Vorstellungen, obwohl er ein Fell verteilt, von dem er nichts abbekommt. Ist es so weit, ist Flierl nicht mehr im Amt.

Auch die Freunde der "Gesellschaft Historisches Berlin" überrascht er. Anita Scheunemann, die gerade noch nicht verstehen wollte, warum Flierl sich gegen die Generals-Denkmäler Unter den Linden ausspricht, ist verdattert als er sagt: "Ich habe nichts gegen die Denkmäler. Meinetwegen können Sie wieder hierher." Aber Flierl fordert: Die Neue Wache soll keine Gedenkstätte mehr sein. So verknüpft er seine Perspektive mit einer wenig realistischen Bedingung. Anita Scheunemann ist beschwichtigt: "Ich schicke Ihnen einen Blumenstrauß, wenn Sie sich für die Generäle einsetzen", sagt sie, die jeden Sonntag für die Rückkehr der Denkmäler demonstrieren will. Doch der Auftrag für die Blumen wird wohl nie rausgehen.

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