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Berlin: Der Bettelstudent

Autor Andreas Altmann lief ohne Geld von Paris nach Berlin

Die verdiente Crème brûlée war nach 1863918 Schritten, 34 Tagen, 33 Nächten und 217 Bettel-Aktionen fast seine. Das feine Restaurant Borchardt sollte der letzte und einzige nicht ganz legale „Pump“ auf seiner Reise sein, das Glas Champagner war schon zur Hälfte geleert. Zechprellerei und Diebstahl waren ihm ausdrücklich verboten worden, aber man gönnt sich ja sonst nichts. Nein, die Rechnung könne er nicht bezahlen, ließ der zerlumpte, stinkende Wandersmann den Oberkellner charmant wissen. Dieser dampfte dann mit dem gerade servierten Puddingschälchen ab. Doch die Polizei kam nicht.

Es sind Begegnungen wie diese, die Reiseautor Andreas Altmann die Ingredienzien für seine Geschichten liefern. Der Ex-Psychologie- und Jurastudent, Ex-Schauspieler und Ex-Billigjobber ist süchtig nach Grenzerfahrungen, die mit touristischer Romantik wenig zu tun haben. Altmann ist ein Extremreisender. Normalerweise führen ihn seine Reisen in ferne Länder, seine Reportagen und Bücher über Afrika, Südamerika oder Asien wurden 1992 mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet.

„Mach’ doch mal was über Europa“, sagte sein Lektor vor zwei Jahren zu ihm. „Kann ich nicht“, antwortete der Wahl-Pariser Altmann. Bis ihm die Idee kam: Einmal quer durch Europa laufen als Bettler, von Paris nach Berlin, ohne Geld. Ein Einfall, den er letzten Sommer auf den 1100 Kilometern, ausgehungert und mit Blasen an den Füßen, zigmal verfluchte. Die Geschichten, die er auf diesem Gewaltmarsch erlebte, lesen sich abenteuerlicher als irgendein adrenalin-gepowerter Bungee-Sprung.

„Die Franzosen waren am geizigsten“, resümiert er. „Aber vielleicht war ich noch nicht so geübt im Betteln und im Geschichten erfinden.“ Natürlich konnte er den Leuten, denen er einen Euro, einen Schlafplatz oder etwas zu essen aus den Rippen leiern wollte, nicht sagen, dass er bloß ein Schriftsteller ist, der möglichst einen Bestseller landen will. Also war er wahlweise mal von seiner Frau verlassen worden, mal unter einem Hirntrauma leidend. Kleine Lügen für große Einsichten in die seelische Verfassung einer Nation. „Es gibt Punks, die selbst schnorren, aber nichts abgeben und Geschäftsleute im Anzug, die gern etwas rausrücken.“ Seine positivsten Erfahrungen hatte er auf der letzten Etappe – in Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Mit einem spendierfreudigen, aber stets lamentierenden Fleischermeister im Osten machte er den Deal: Wurst gegen einen Tag ohne Jammern. So kann auch ein Bettler schenken.

Andreas Altmann: 34 Tage - 33 Nächte: Von Paris nach Berlin zu Fuß und ohne Geld, Frederking & Thaler Verlag, 24 Euro.

Lesung und Buchpremiere: Heute, Donnerstag, 18.März, 20.15 Uhr, Lehmanns Fachbuchhandlung, Hardenbergstraße 5 (am Ernst-Reuter-Platz), Eintritt: 3 Euro

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