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Berlin: Der bewegte Schiller

Standbilder haben in Berlin einen schweren Stand und außerdem eine im Wortsinn bewegte Geschichte. Nicht nur unser Fontane wanderte schutzsuchend vom Tiergarten ins Lapidarium und kehrte von dort als Nachbildung seiner selbst zum angestammten Park-Platz zurück.

Standbilder haben in Berlin einen schweren Stand und außerdem eine im Wortsinn bewegte Geschichte. Nicht nur unser Fontane wanderte schutzsuchend vom Tiergarten ins Lapidarium und kehrte von dort als Nachbildung seiner selbst zum angestammten Park-Platz zurück. Zu ihrem Schutz vor ungestörter zerstörerischer Narrenhand wanderten auch Goethe, Lessing, Mozart, die legendäre Königin Luise von ihrer Insel samt ihrem dort auf Abstand gehaltenen Gatten marmorn ins Lapidarium und kehrten als Kunststeinabformungen auf ihre Postamente retour. Friedrich Schiller mit seinen vier strammen Heroinen machte eine Ausnahme, wiewohl auch er in Berlin verrückt wurde: Daß ein längerer Aufenthalt in Berlin mich fähig machen würde, in meiner Kunst voranzuschreiten . . . zweifle ich keinen Augenblick. So finden wir ihn zitiert zu seinen Füßen im Pflaster des Gendarmenmarktes vorm Schauspielhaus. Schiller schritt zwar nicht in Berlin, wohl aber in Weimar zu olympischer Würde empor. Diesen Empfang dort droben zeigen uns Bildtafeln an seinem Standbild, das Reinhold Begas aus weißem Marmor gehauen hat.

Es wurde zu Schillers 112. Geburtstag, am 10. November 1871 enthüllt. Stolz und Anmut. Und ganz Gescheite sprachen von der marmornen Moralität des Dichterfürsten. Das Menschliche freilich hat Begas auf reizende Art in die Rechte des erhaben Erhobenen gelegt. Sie rafft ziemlich krampfig das wallende Gewand, worüber damalige Berliner Spottlust spie: Herrjott, mir rutscht doch ejal weg der Palletot. Nun stand hier Schiller 64 Jahre hindurch fest gemauert auf dem Platze. Dann wurde im Jahre 1935 das Bild des Gendarmenmarktes stark verändert, Schiller musste fort und fand in der Bildgießerei Noack in Friedenau Aufnahme. Dort fertigte man vom marmornen Standbild ein bronzenes und zwar 1941 für den Weddinger Schillerpark. Dass der metallene Schiller vom Glockenschicksal verschont blieb, also nicht zu Granaten verschmolzen wurde, ist bemerkenswert. Das Marmor-Original kam in der Friedenauer Bildgießerei unbeschädigt über den Krieg. Zu Schillers 147. Todestag, am 9. Mai 1952, trat er wieder ins Freie West-Berlins und zwar in den Charlottenburger Lietzenseepark. Das noch vom Kriege her ruinöse Schauspielhaus am nun Platz der Akademie genannten Gendarmenmarkt lag ja im Ostsektor. Als das Schauspielhaus und der Platz wieder hergerichtet waren, lag es nahe, über Schiller ein ernstes Wort über die Mauer hinweg zu sprechen.

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen traf im März 1986 in Leipzig mit Erich Honecker zusammen, und beide waren der Meinung, Schiller gehöre wieder vors Schauspielhaus. Nun ging es Zug um Zug: Schiller verließ den Lietzenseepark, machte sich im Kreuzberger Lapidarium frisch und wanderte in Begleitung des Landeskonservators Engel (West) und dessen Ost-Berliner Kollegen Deiters nach 51 Jahren zurück vors Schauspielhaus. Im Gegenzug kehrten unter anderem aus Potsdam 29 kostbare, im Krieg dorthin gebrachte Relieftafeln in den Teesalon des Schlösschens auf der Pfaueninsel zurück. Es kam ja immer wieder mal in keineswegs normal zu nennender Zeit im geteilten Berlin zum Austausch kriegsbedingt verrückter Dinge. Den Anfang machte die Quadriga vom Brandenburger Tor als Nachbildung des im Krieg zu Klump geschossenen Originals, sie wurde auch in Friedenau bei Noack gefertigt.

Und wenn wir vorm Schauspielhaus an Schillers Standbild stehen, bekommt dessen Betrachtung überhaupt erst einen begreifbar Berliner Bezug, indem wir wissen, welche Extratouren durch die bewegte Berliner Geschichte der Dichterfürst hat machen müssen, als den die Stadt Berlin ihn ausweislich einer Sockel-Inschrift ehren wollte. So steht’s um manches Standbild: O wer weiss, was in der Zeiten Hintergrunde schlummert.

99 ZEILEN SCHWERK

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