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Ah, Berlin! Berliner im Exil sehen manches, was früher vielleicht nervig wahr, oft plötzlich in milderem Licht - und sehnen sich zurück.

© dpa

Der Blick aus Düsseldorf: Ihr lebt in Berlin? Ihr habt’s gut!

Manchmal sieht man erst aus der Ferne richtig scharf. Unsere Autorin ist vor fünf Monaten genervt aus Berlin weggezogen. Jetzt war sie zu Besuch – und findet, dass wir ziemlich froh sein sollten, in dieser Stadt zu leben.

Neulich war ich in Berlin. Ich erkannte es nicht gleich wieder. Vom Hauptbahnhof aus sah ich das Kanzleramt in den Abendhimmel ragen, die Lichter über der Spree, den Fernsehturm, das Sony-Center und die Charité. Mir lief ein Schauer den Rücken hinunter. Was ich sah, war das reine Klischee. Diesen Blick hatte ich vergessen.

Als ich vor fünf Monaten wegzog, nach Düsseldorf, hatte ich Berlin satt gehabt. Das Schlampige, das Unprofessionelle. Das Gejammer über Jobs, die auslaugend waren und mies bezahlt. Die Mitte-Menschen, die eigentlich Provinzmenschen waren, die einem Hype hinterherliefen, um einen Kiez, einen Club, ein Computerspiel-Start-up. Die Unverbindlichkeit, die ewige Suche, nach einer Party, einem Stadtbild, einem Leben. Die Türsteher und andere Wichtigtuer, im Büro und im Regierungsviertel.

Was gibt es denn hier überhaupt ständig zu motzen?

Auf einen dieser Wichtigtuer traf ich, als ich später die Rolltreppe zur S-Bahn nahm. Es war ein Spatz, der auf einem Fahrkartenautomaten hockte und lautstark schimpfte, als hätte er Angst, nicht gehört zu werden, bei dem Lärm, den die Stadt um sich selbst machte. Spatz, was ist denn, du hast es doch gut, dachte ich. Woanders verscheuchen sie solche wie dich, weil du ihnen die Cafétische vollkackst. Hier lässt man dich in Ruhe.

Was gibt es denn hier überhaupt ständig zu motzen? Okay, der Senat hat verpeilt, mit der S-Bahn einen ordentlichen Vertrag auszuhandeln und dann kommt die Bahn auch noch ständig zu spät. Die Autofahrer sind rücksichtslos, die Radfahrer nicht besser. Der Bürgermeister macht Party mit Unternehmern. Die Touristen und die Reichen lassen die Mieten steigen. Die Clubs sterben, die festen Arbeitsplätze sind schon gestorben.

Ich bitte euch. Was wollt ihr eigentlich?

Da, wo ich jetzt wohne, schließen die Kneipen um eins

Stellt euch mal vor, wie es dort ist, wo die Leute herkommen, die erst die Mieten verteuert haben und sich jetzt drüber aufregen. Dort, wo ich jetzt lebe, gibt es so viel Geld, dass die Stadt ihre Parkbänke beleuchtet. Und niemand macht die Lampen kaputt! Ich frage mich, wo die übermütigen Jugendlichen sind, die gegen ihre Eltern, das System oder die Langeweile rebellieren. Wahrscheinlich im Sportverein. Oder bei McDonalds. Und wenn sie groß sind, arbeiten sie täglich von halb neun bis halb sechs, dann gehen sie Abendbrot essen oder wieder in den Sportverein oder ins Multiplex und danach in eine Kneipe, die spätestens um ein Uhr schließt, die Küche schon um elf. Niemals würden sie über eine rote Ampel gehen, geschweige denn fahren. Und wenn die S-Bahn mal nicht kommt, freuen sie sich heimlich, weil sie in der Mittagspause etwas zu erzählen haben.

Warum Berlin doch lebenswert ist.

Da hat ein echter Berliner wie Klaus Wowereit doch einen ganz anderen Stil. Der feiert gerne und tauscht sich mit interessanten Menschen aus, und wenn er da jedes Mal so genau auf die Rechnung gucken würde, das wäre doch auch irgendwie spießig. Wer feiert denn hier nicht gerne? In Berlin kann man bis eins in der Bar rumhängen und danach immer noch essen gehen, und später ins Berghain, wo James Blake spielt und nachmittags in die Gerhard-Richter-Ausstellung. Oder man kann es lassen, weil die Clubs und die Museen auch nächstes Wochenende noch da sind, und wenn ein Laden schließt, macht irgendwo ein neuer auf und jeder große Künstler kommt irgendwann in diese Stadt.

Wenn sich in Berlin keine Antworten finden, wo dann?

Ich versackte stattdessen bei der Party eines Freundes, der gerade sein erstes Buch veröffentlicht hat. Das Buch wurde sicher nicht zwischen halb neun und halb sechs geschrieben, und reich wird der Autor damit wohl auch nicht werden. Er hat sich einfach bloß für Russland interessiert. So, wie sich die meisten Menschen, die es hierherzieht, für irgendetwas interessieren, das über ihren Horizont hinausgeht.

Man trifft sie zum Beispiel bei Juan Carlos, der aus Peru stammt, und am Arkonaplatz eine Kneipe betreibt, in der es keine Heizung gibt, aber gute Mojitos. Ein Nachbar erzählt, wie es hier war, bevor die Mauer fiel, nur ein paar Straßen entfernt, die Lücke sieht man noch. Am Tisch sitzen außerdem eine Ägypterin und jemand, der kürzlich in Afghanistan war, und schon ist man mittendrin in den ganz großen Fragen. Krieg und Frieden, Glauben und Identität, Bildung und Gerechtigkeit. Wenn sich in dieser Stadt keine Antworten finden, wo denn dann? Ja, die NPD ist bei der letzten Wahl in drei Berliner Bezirksparlamente eingezogen. Aber fünf Jahre zuvor waren es noch vier.

Ein mies bezahlter Job kündigt sich leichter

Wen stört es in diesem Moment, dass er nicht weiß, wo er in fünf Jahren leben wird, mit wem und wovon. Vielleicht wird aus der Geschäftsidee, die heute Abend noch an diesem Tisch geboren wird, ein Knaller. Ein Schreibtisch mit Internetanschluss ist schnell gemietet, gute Leute trifft man überall. Ein mies bezahlter Job kündigt sich leichter als eine lebenslange Festanstellung. Und wenn es nicht klappt? Dann fällt einem morgen etwas Neues ein.

Das sagt sich leicht, wenn man im Zentrum lebt, wo man kein Auto braucht und kein Haus abbezahlen muss. Wenn man keine Kinder hat, oder entspannt mit Kindern umgeht. Aufbauen, abreißen, ausprobieren, scheitern – von vorn anfangen. Das ist ein Privileg der Jugend. Die scheint in Berlin länger anzudauern als anderswo.

Darum kommen sie ja, die Touristen, die Investoren, die Provinzler. Freut euch doch, wenn sie ihr Geld hierlassen, und ihnen zum Dank auch noch ein Spatz auf den Kopf kackt. Die Euros könnt ihr hoch erhobenen Hauptes eurer S-Bahn in den Rachen werfen. Neukölln ist schon wieder zu teuer geworden? Dann zieht halt nach Wedding. Der Hype wird euch schon folgen. Aber werdet bitte nicht erwachsen.

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