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Berlin: Der Bürger muss warten

Rechtmäßigkeit des Verdi-Streiks ist umstritten, dennoch will Innensenator nicht vor Gericht ziehen

Wer einen neuen Pass braucht, hat derzeit schlechte Karten. Wegen der Streiks im öffentlichen Dienst haben viele Ämter nur eine Notbesetzung. Der Bürger muss schon früh aufstehen, um eine Wartemarke zu erkämpfen und dann vielleicht einige Stunden später an der Reihe zu sein. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Die Streiks könnten sich noch über das ganze kommende Jahr hinziehen. Dabei sind sie wahrscheinlich nicht einmal rechtmäßig. Denn gestreikt werden darf nur, wenn es keinen gültigen Tarifvertrag gibt. Den gibt es aber in Berlin. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) forderte die Gewerkschaften deshalb gestern erneut auf, ihren Arbeitskampf nicht weiter auf dem Rücken der Bürger auszutragen. Er erneuerte sein Angebot, im kommenden Jahr wieder zu verhandeln. Vor Gericht will Körting aber nicht gehen, da er nicht glaube, dass Arbeitskämpfe gerichtlich gelöst werden können.

Der grüne Haushaltsexperte Oliver Schruoffeneger sieht darin eher ein rot-rotes Stillhalteabkommen, da sich die Koalitionäre nicht einig darin sind, wie mit dem Streik umzugehen ist. Der FDP-Rechtspolitiker Björn Jotzo hingegen stimmt Körting ausnahmsweise zu: „Eine juristische Klärung würde die Konfrontation bloß verschärfen“, sagt er. „Viel wichtiger ist es, den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes für die Zeit nach Auslaufen des Tarifvertrags eine Perspektive zu bieten“, etwa indem man sage: „Jetzt kommen noch drei harte Jahre mit Personalabbau und wenig Geld, aber danach können wir euch bezahlen wie die Beschäftigten im restlichen Bundesgebiet.“

Die unangenehmen Folgen des Streiks zu mildern, etwa durch verstärkten Einsatz von Beamten, ist kaum noch möglich. „Alles, was wir an verfügbaren Kräften haben, wird bereits in den Bürgerämtern eingesetzt“, sagt der Bezirksbürgermeister von Mitte, Joachim Zeller (CDU). Er könne keine Leute von der Bauaufsicht ins Bürgeramt stecken. Zeller bezeichnete die Situation als „verzweifelt“. An allen Ecken würden Beamte fehlen, im Stellenpool seien keine geeigneten Leute. Überdies gebe es auch Nachwuchsprobleme, da keine Beamten mehr ausgebildet würden. „Die paar vorhandenen jungen Beamten verlassen uns und gehen zu Bundesbehörden“, sagt Zeller. Dafür müssten sie nicht einmal umziehen und bekämen wesentlich mehr Geld. Gehaltsmäßig seien die Berliner von der Lohnentwicklung des Bundesgebiets abgehängt.

Die Neuköllner Stadträtin Stefanie Vogelsang (CDU) stimmt zu: „Einige öffentlich Bedienstete mit zwei Kindern bekommen 50 Euro mehr als Hartz IV“, sagt Vogelsang. Sie sieht die Schuld an der Misere allein beim Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und seiner Blockadehaltung; die Forderungen der Gewerkschaften hält sie für gemäßigt. Neukölln prüft derzeit, ob Beamte in Schnellkursen geschult werden können, um den Druck in den Bürgerämtern zu mildern.

Ob die Gewerkschaften streiken dürfen, ist umstritten. Die Gewerkschaft Verdi ist davon überzeugt; die Juristen der Innenverwaltung nicht. Der Berliner Tarifvertrag sieht vor, dass neue Verhandlungen geführt werden können, wenn sich die anderen Tarifverträge im Bundesgebiet ändern. Solche Verhandlungen sind gescheitert. Unbeeindruckt davon eröffnet das Bürgeramt Charlottenburg am kommenden Donnerstag eine neue Außenstelle in der Cunostraße 1. Sie soll verlässlich zwischen 11 und 17.30 geöffnet sein. Fatina Keilani

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Fatina Keilani

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