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Berlin: Der Dreh mit den Locken Schauspieler Sebastian Urzendowsky spielt

die Hauptrolle im  TV-Film „Der Turm“.

Wie war das mit den Locken? Hat er die widerspenstige Mähne, mit der er durch die ersten 90 Minuten des „Turms“ stolziert, wirklich geopfert? Für den zweiten Teil des Films und den Dienst in der NVA? „Nein, das war eine Lockenperücke“, sagt Sebastian Urzendowsky. „Sieht aber gut aus und täuschend echt, oder?“

Gut und täuschend echt. So ungefähr hat Uwe Tellkamp geurteilt, als er Sebastian Urzendowsky vorspielen sah. In der Verfilmung des vermeintlich unverfilmbaren Meisterwerks „Der Turm“, zu sehen am Mittwoch und am Donnerstag zur besten Sendezeit im Ersten. Der Berliner Urzendowsky spielt den Dresdener Arztsohn Christian Hoffmann, Alter Ego des Dresdener Arztsohns Uwe Tellkamp. Der Film übernimmt wenig von der Ästhetik seiner literarischen Vorlage. Aber Urzendowskys Christian ist in seinem Spektrum zwischen Trotz und Melancholie und Stolz und Aufbegehren genauso, wie ihn Tellkamp gezeichnet hat.

In der letzten der 180 Filmminuten verabschiedet Christian die Mutter und den Onkel mit dem vielsagenden Satz: „Kommt gut nach Hause!“ Er hat keine Lust mehr mitzuspielen, er will nicht länger funktionieren. Die zäh dahinfließende Geschichte eines heute versunkenen Landes namens DDR hat den November 1989 erreicht. Die Welt steht Christian offen. Spätestens in diesem Moment würde man schon ganz gern wissen, wie es weitergeht, mit Christian Hoffmann und den anderen Türmern.

Uwe Tellkamp schreibt bekanntlich an einer Fortsetzung, am Set hat man sich so dieses und jenes erzählt. Sebastian Urzendowsky holt kurz Luft – und beißt sich doch auf die Zunge: „Seien Sie mir nicht böse, aber darüber darf ich nicht sprechen.“ Nicht mal eine klitzekleine Andeutung? „Sagen wir mal so: Die Handlung wird sich nach Westen verlagern. Und es werden andere Personen aus dem Roman eine größere Rolle spielen.“

Das lässt einiges an Spielraum für Interpretationen. Tellkamp selbst hat schon angedeutet, die Fortsetzung solle „Lava“ heißen und dazu den schönen Satz verfasst: „Ein Vulkan war ausgebrochen, Lava rann über Wege, in Abgründe, zäh, heiß, vernichtend, doch auch fruchtbar.“ Sebastian Urzendowsky ist 1985 in Ost-Berlin geboren. Die Lava, die zäh und vernichtend und fruchtbar von Ost nach West rann und von West nach Ost, er kennt sie nur noch aus Gesprächen mit seiner Mutter. Zu den ältesten Kindheitseindrücken gehört für ihn die erste große Ferienreise ins westliche Ausland. „1990, da war ich fünf, und wir sind mit der Familie über die Schweiz nach Italien gefahren.“

Die neu gewonnenen Möglichkeiten zur Erkundung der Welt prägen ihn bis heute. Als Schüler war er ein Jahr in Lyon, und sein Französisch ist so gut, dass er mühelos und ohne Synchronstimme die Hauptrolle in einem französischen Kinofilm übernahm. „Un amour de jeunesse“ ist gerade mit deutschen Untertiteln in Berlin angelaufen. Sebastian Urzendowsky hat sich verliebt in die Leichtigkeit des Films, und es tut ihm schon leid, dass die Liebe der Jugend ein wenig untergeht in diesen Tagen, im Brimborium um die „Turm“-Verfilmung.

Der junge Schauspieler hat schon mit Peter Weir gedreht, mit Max Färberböck und Dominic Graf. Wenn denn die Voraussagen zutreffen, wird in den kommenden beiden Tagen ein Millionenpublikum vor den Fernsehgeräten Bekanntschaft mit Urzendowskys Christian Hoffmann machen. Mit dem überheblichen Bürgersohn, der sein Cello eher verbissen bearbeitet denn liebevoll streichelt. Mit dem NVA-Rekruten, der in ganz unakademischer Wut auf einen menschenschindenden Offizier losgeht, wie ihn jeder kannte, der das abzuleisten hatte, was in der DDR „Ehrendienst“ hieß.

Es waren diese Armeeszenen, die Urzendowsky beim Lesen der knapp 1000 Turm-Seiten am meisten beeindruckt haben. Er spielt sie mit beängstigender Authentizität, als hätte er selbst in Schwedt, Cottbus oder Strausberg gedient und nicht die Gnade der späten Geburt in Anspruch nehmen dürfen. Hat er sich seine Anregungen in der Bundeswehr geholt und in der Fantasie zugespitzt? Keineswegs, sagt Sebastian Urzendowsky. Er war Allergiker, von der Musterung befreit und hat nie eine Kaserne von innen gesehen. Sven Goldmann

Weiteres zum Film auf Seite 27

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