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Berlin: Der echte Herr der Ringe

Noch drei Wochen, dann ist der Techno-Club Ostgut endgültig Geschichte. Sven Marquardt war von Anfang die Respektsperson im Haus. Wie geht’s nun weiter?

Es gibt auch in Berlin immer noch Leute, die auffallen. Sven Marquardt gehört dazu. Sein Körper ist mit bunten Tätowierungen, das Gesicht mit Piercings überzogen. Nachtschwärmer kennen ihn vom Techno-Club Ostgut, wo er als Türsteher arbeitet. Marquardts Ohrläppchen mit den schweren Silberringen hängen wie bei einer Buddha-Statue fast schon auf Kinnhöhe. Durch die Nasenscheidewand hat er einen breiten Halbmond gezogen, der kaum noch Platz zum Schnauben lässt. Um den Hals hängt eine schwere Gliederkette, jeder Finger wird von tischtennisballgroßen Ringen gekrönt. Wenn er in diesem Outfit grimmig guckt, dann wechselt auch das letzte Anabolika- Breitkreuz die Straßenseite.

Doch Sven macht selten eine böse Miene. Der 40-jährige ist ein überraschend freundlicher Zeitgenosse. Er spricht mit einer angenehmen, leisen Stimme. Seine Gesichtszüge wirken entspannt, um die Augenwinkel haben sich Lachfältchen eingegraben. Sven verrät, dass er jede freie Minute in der Natur verbringt, auf dem See rudert oder mit dem Fahrrad durch die Wälder radelt. Als gelernter Fotograf macht er seit Jahren Porträts von seinen Freunden. Der Ur-Berliner arbeitete zu DDR- Zeiten in einem Atelier, machte Auftragsarbeiten, Modeaufnahmen, Hochzeitsbilder. Wer alte Hefte des Modemagazins „Sybille“ durchblättert, wird auf seine Fotos stoßen. Weil er damals als Punk anders aussah, anders wohnte und anders lebte, durfte ihn die Chefredakteurin niemals zu Gesicht bekommen. Die Aufträge besorgten ihm Verlagsmitarbeiter, die er gut kannte.

Während er davon erzählt, leuchten seine Augen. „Das war eine unglaublich schöne Zeit im Osten, die sich für immer eingeprägt hat.“ Sven fotografiert zwar immer noch, aber jetzt nur noch als Ausgleich zu seinem anstrengenden Job im Ostgut. Das ganze Wochenende hat er dort als Türsteher das Sagen. Begonnen hatte er damit vor einigen Jahren, zuerst in kleineren Clubs, so im Suicide oder im Discount. Schließlich lernte er die Betreiber des Ostguts kennen und gehörte gleich nach der Eröffnung des Technotempels an der Mühlenstraße zum Stammpersonal. So manchem Gast wird er fehlen, wenn am 4. Januar Schluss ist.

Es bleibt also nur wenig Zeit, den imposanten Türsteher bei der Arbeit zu beobachten. Mit drei anderen steht er vom späten Abend bis zum frühen Vormittag vor dem Eingang. Zwei sortieren bereits vor dem Club unliebsame Nachtschwärmer aus, die anderen beiden passen auf, dass sich keiner an der Kasse vorbeimogelt. „Wer reinkommt, entscheidet dabei immer der Augenblick“, sagt Sven. Mit den Jahren habe er einen Gespür dafür bekommen, wer ins Ostgut passt. Seine Grundregel: Teenager dürfen nicht rein, auch Träger von Plateauschuhen und „Betonfrisuren“ müssen draußen bleiben. „Ein bisschen Glamour im Club ist wichtig, aber auch Punks mit abgetragenen Klamotten dürfen nicht fehlen.“ Nur so stimmt die Mischung, und die Party wird gut.

Noch kurz vor Schluss ist sein Job bedeutend stressiger geworden: „Erst strömten die Leute aus Mitte hierher“, erzählt Sven. „Und dann wurde das Ostgut in nahezu jedem Touristenführer als trendiger Ausgeh- Ort erwähnt.“ Was die Schlange vor dem Club anwachsen ließ. „Jetzt wird man von Touristengruppen genervt, die selbst dann hartnäckig bleiben, wenn der Laden rappelvoll ist.“ Zwar macht ihm der Job immer noch Spaß, aber er hört auf, wenn das Ostgut schließt. Danach ist für Sven klar, was er machen will: Eine große Ausstellung mit den Aufnahmen der vergangenen Jahre.

Henning Kraudzun

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