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Berlin: Der Fall der Linde

Wer haftet für den Baum, der auf ein Auto stürzte? Der Bezirk nicht, er will aber dennoch helfen.

Von Sandra Dassler

„Natürlich werden wir versuchen, der Frau zu helfen, möglicherweise über eine Härtefallregelung“, sagt Hans Panhoff, Stadtrat für Umwelt, Verkehr, Grünflächen und Immobilienservice in Friedrichshain-Kreuzberg: „Die ganze Geschichte ist schließlich ein Härtefall. Und bleibt hoffentlich ein Einzelfall.“

Ausgerechnet ein Baum macht dem grünen Politiker ziemlich zu schaffen. Die fast 100 Jahre alte und 15 Meter hohe Linde, war – wie berichtet – am vergangenen Montag ohne Vorwarnung plötzlich umgekippt und auf ein Auto gestürzt, das an einer roten Ampel in Kreuzberg hielt. Die beiden Frauen im Auto überlebten wie durch ein Wunder und wurden nur leicht verletzt, doch der weinrote Opel Astra erlitt Totalschaden. Schnell stand fest, dass die Teilkasko-Versicherung der Fahrerin den Schaden nicht übernehmen würde. Sie hätte nur gezahlt, wenn der Baum durch starken Wind, Blitzschlag oder andere extreme Witterungsbedingungen beschädigt und umgefallen wäre, sagt die 47-jährige Fahrerin, die nicht namentlich genannt werden will. Eine Vollkasko übernimmt in manchen Fällen solche Schäden, aber die hatte das mehr als 15 Jahre alte Auto natürlich nicht mehr.

„Objektiv gesehen war mein Opel wahrscheinlich nicht mehr so viel wert“, sagt die Fahrerin und Mutter einer 13-jährigen Tochter: „Aber ich kann mir von meinem Gehalt kein neues Auto leisten, wahrscheinlich auch kein gebrauchtes – insofern trifft mich der Verlust schon hart.“

Die Hoffnung, dass vielleicht das für die städtische Linde zuständige Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg für den Schaden an ihrem Auto haftet, erfüllte sich nicht. Bereits am vergangenen Freitag lag dem Bezirk nach Auskunft von Stadtrat Panhoff ein Gutachten vor, wonach der Baum aufgrund eines Wurzelschadens umstürzte. Dieser sei nicht, wie zunächst vermutet, durch einen Pilz, sondern durch mehrere Jahre zurückliegende Bauarbeiten verursacht worden, sagt Panhoff. Wann genau und durch welche Firma lasse sich nicht mehr feststellen. Laut Gutachter sei der Schaden durch Mitarbeiter des Bezirksamts nicht feststellbar gewesen . Das heißt, niemand habe fahrlässig gehandelt oder eine Kontrollpflicht verletzt.

Von unglücklichen Umständen müsse man daher ausgehen, sagt Panhoff. Juristisch falle das alles unter den Begriff „allgemeines Lebensrisiko“. Der Mensch sei nun einmal einer Vielzahl von Risiken ausgesetzt, denen er sich auch bei größten eigenen und fremden Anstrengungen nicht ganz entziehen kann. „In Neuseeland ist einmal ein kleines Schaf vom Himmel gefallen und hat jemanden verletzt, es war von einem Raubvogel fallengelassen worden – das ist eben allgemeines Lebensrisiko.“

Natürlich weiß der Stadtrat, dass der Fall der umgestürzten Linde etwas anders liegt: „Wir überprüfen gerade noch einmal bestimmte Bäume – insgesamt ist der Bezirk für 15 000 zuständig. Und wir bemühen uns, der Fahrerin zu helfen, unabhängig von der formalrechtlichen Bewertung.“ Das hat auch Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) angekündigt.

Der 47-Jährigen, die noch krank ist und unter Rückenschmerzen leidet, wird das etwas Hoffnung geben. „Zwei Herren vom Bezirksamt haben mich schon im Krankenhaus besucht und sich um das Autowrack, das die Polizei auf einen Behindertenparkplatz geschleppt hatte, gekümmert.“ Einen Anwalt hat sie dennoch eingeschaltet. Dass sie selbst für alles aufkommen muss, kann sie nach wie vor einfach nicht glauben. Sandra Dassler

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