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Berlin: Der Flimmer-Effekt

Erfolgreiche MoMA-Schau: Warum alle die Originale sehen wollen

Monets „Seerosen“ kennt eigentlich jeder. Van-Gogh-Bilder, dekorativ gerahmt, finden sich gelegentlich bei Aldi. Roy Lichtensteins „Ertrinkendes Mädchen“ ist ein Poster-Klassiker. Die Gemälde, die inzwischen über 75000 Besucher in der Berliner MoMA-Schau gesehen haben, gehören zum kollektiven Bild-Gedächtnis. Millionenfach werden sie reproduziert, aber kaum jemand ist ihrer deshalb überdrüssig geworden. Die langen Warteschlangen vor der Neuen Nationalgalerie beweisen das. Warum wollen Kunstliebhaber unbedingt das Original angucken? Und wenn sie’s schon mal gesehen haben, immer wieder aufs Neue betrachten?

Hermann Haarmann, Kultur- und Kommunikationswissenschaftler an der Freien Universität, sieht den Grund in der „Unmittelbarkeit“ des Werkes. Das „Dreidimensionale“ eines Ölgemäldes gehe beim Druck verloren. Der Betrachter möchte mit den Augen „anfassen“. Das millionenfache Kopieren auf dem Computer erzeuge geradezu eine „Sehnsucht, dieser Scheinwelt zu entgehen“.

Als Beispiel führt Haarmann Microsoft-Gründer Bill Gates an. Der habe sich ein Bild Leonardo da Vincis, das als Bildschirmschoner immer wieder vor seinen Augen flackerte, irgendwann als Original gekauft. Früher, erzählt Haarmann, habe er selbst Van-Gogh-Postkarten gesammelt und irgendwann die Lust an den Motiven verloren. Dann sei er in eine Ausstellung gegangen und habe plötzlich einen „völlig anderen“ Van Gogh gesehen. Die Wahrnehmung sei abhängig vom Zeitpunkt und funktioniere interaktiv. „Das Bild schaut ja auch mich an.“ Haarmann muss jedenfalls unbedingt in die MoMA-Ausstellung gehen, auch wenn er viele Bilder schon im Original gesehen hat. „Man erfährt eine andere Realität und sieht Bilder, die erschlagen einen.“

Bernd Kersten, Wahrnehmungspsychologe an der Universität Bern, will auch in die MoMA-Ausstellung. Die Farben eines Bildes könne man in ihrer Intensität nur am Original erfahren. Neurobiologisch nachgewiesen sei beispielsweise der „Flimmer-Effekt“, der bei vielen impressionistischen Motiven auftrete und von den Künstlern auch beabsichtigt war. Oder der „Nachbilder-Effekt“. Dabei entsteht im Gehirn nach intensiver Betrachtung einer Farbfläche ein komplementärer Farbton, etwa Türkis nach Rot oder Violett nach Gelb.

Die Werbemaschinerie für die Ausstellung lässt Bernd Kersten unbeeindruckt. „Moderne Kunst wird nur zugänglich, wenn dafür geworben wird“, sagt er. Die Menschen müssten erst vertraut werden mit einem künstlerischen Stil, der zur Zeit der Entstehung oft als „schrecklich“ und skandalös empfunden wurde. Der große Andrang in die MoMA-Ausstellung sei natürlich auch ein „sozialpsychologisches Phänomen“. Es gebe einen „gesellschaftlichen Druck“, einen „vorgegebenen Kanon“ der wichtigsten Bilder zu sehen, formuliert Haarmann. Aber davon sollte sich keiner abschrecken lassen.

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