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Betreten geboten. In den vergangenen zwei Jahren habe sich der Park verändert, findet Filmemacher Karsten. Mittlerweile habe die „trendige, szenebewusste Jugendkultur“ auf dem Grünstreifen Einzug gehalten. Auf dem großen Hügel sitzen hunderte Erholungswillige in der Sonne, auf der Betonfläche wird Basketball gespielt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Mauerpark: Der grüne Magnet

Zigtausende zieht es jedes Wochenende in den Mauerpark, um zu entspannen, zu feiern, zu musizieren. Regisseur Dennis Karsten hat dem Ort einen Film gewidmet. Am Sonntag ist die Premiere im Filmtheater am Friedrichshain.

Berlin - Sie heißen Wladimir Kaminer und Dr. Motte, Schraubermicha, Ali und Maike. Wenn es am Wochenende warm wird, pilgern sie mit vielen hundert anderen Gleichgesinnten in den Mauerpark, fläzen sich dicht an dicht auf die weite Wiese und verschwimmen gemeinsam zu einer großen Masse. Sie, das sind die Gaukler, die Trommler, die Tänzer, die Sänger, die Flaschensammler, die Griller, die Touristen, die verliebten Pärchen, die jungen, hippen Kleinfamilien. Über ihren gemeinsamen Mikrokosmos hat Regisseur Dennis Karsten einen Film gedreht. Diesen Sonntag feiert „Mauerpark“ beim „Achtung Berlin“-Festival Premiere.

Laut, bunt und in allen Geruchsfarben duftend: Am Wochenende, wenn im Mauerpark gejammt, geflirtet, gesungen und gemalt wird, ist keiner anders und doch nicht jeder gleich. „Der Park ist ein Schmelztiegel alternativer Kultur, eine der letzten Oasen dieser Art, wie sie Anfang der 90er in Berlin entstanden sind“, sagt Karsten. Deshalb kämen so viele Besucher dorthin. Aber auch, weil es außer dem Volkspark Humboldthain wenig grüne Alternativen in der Nähe gebe. „Im Gegensatz zu dort weißt du aber im Mauerpark nie, was dich erwartet. Er ist ein Erlebnisgarant“, sagt der Regisseur.

Nach geschichtlichen Gesichtspunkten ist der Mauerpark ein Stück ehemaliger Grenzstreifen zwischen Prenzlauer Berg und Gesundbrunnen. Als ein Symbol der Wiedervereinigung sollte dort eine 14 Hektar große Naherholungsfläche ohne Schnörkel entstehen. Heute dient die lange Schneise entlang des Hanges, die schnurgerade durch den Mauerpark führt, ihren Besuchern als Laufsteg. Der Spazierweg, der in der Weddinger Hälfte durch ein Birkenwäldchen und über Kleingewerbeflächen in den nördlichen Teil des Parks mit Kletterfelsen und einem Kinderbauernhof führt, wird von den Besuchern weniger genutzt. Das Gefühl des befreiten Wochenendes lebt sich am besten auf der großen Wiese unweit der Bernauer Straße.

„Im dicht besiedelten, gentrifizierten Prenzlauer Berg bietet der Mauerpark ihnen Freiraum mit visueller Weite“, sagt Karsten. Deshalb sind sie dort: Die Caipirinha schlürfenden Eltern neben den rauchenden Kreativ-Yuppies, den publikumshungrigen Literaten, den Hobbymarktschreiern und den Cliquen, die Club Mate trinken. Ein Stück weiter: die Bands, die auf Bongos, Gitarren und Schlagzeugen spielen, während Kleinkünstler auf Einrädern jonglieren oder mit flatternden Bändern über die Wiese tanzen.

„Der Park hat sich in den letzten zwei Jahren verändert. Er ist voller und kommerzieller geworden“, sagt Karsten. 2009 habe er seinen Film im Mauerpark gedreht, der so heute nicht mehr existiere. „Dieser Sommer war der Wendepunkt. Danach hat die trendbewusste, szenige Jugendkultur Einzug gehalten“, sagt Karsten. Das sei 2010 massiv aufgefallen und dieses Jahr seien an den ersten, warmen Wochenenden gefühlt noch mehr Menschen in den Park gepilgert. „Er ist wie ein Magnet“, sagt der Pankower Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) dazu. „Wo viele Menschen sind, kommen immer mehr hinzu. Auf den Sommer können wir gespannt sein.“ Fest steht, dass dann immer montags das Pankower Grünflächenamt in hunderten Säcken die Reste des Partywochenendes aufsammeln wird. Auch die Nörgler wird es wieder geben und die Familien, die den Park meiden, weil es ihnen dort zu dreckig ist. Andere werden sich an den fliegenden Händlern stören, die ohne Genehmigung kistenweise Bier, Cocktails oder Essbares verkaufen. Leben und leben lassen lautet jedoch die Devise der Fans des Mauerparks. Sie wissen, dass es sich am besten unter vielen Gleichgesinnten feiern lässt. Dazu bietet der Mauerpark viel Platz, ist zugleich ein Ort individueller Entspannung und von ernsthaften Problemen redet nicht einmal das Bezirksamt. „Klar ist der Park kein rechtsfreier Raum, aber man muss da auch mit Augenmaß rangehen“, sagt Kirchner. Das Treiben im Mauerpark sei ein Phänomen, das der Bezirk mit Freude beobachte. „Eigentlich passiert es selten, dass eine Kommune von so vielen verschiedenen Menschen so gut angenommen wird. Da lebt ein guter Geist im Park“, sagt Kirchner.

Dass die Wiese dabei mehr einer Brache gleicht, auf der am Wochenende überall Zigarettenkippen, Kronkorken und Berge von Müll herumliegen, scheint wenige zu stören. „Viele mögen, dass es dort nicht so geleckt ist wie am Kollwitzplatz. Viel wichtiger ist es den Leuten, dass es friedlich zugeht“, sagt Karsten. So sieht es auch das Bezirksamt: „Dafür, dass mehrere tausend Menschen auf einem Haufen sind, gibt es wenige Vorfälle. Das kenn’ ich in Berlin sonst anders“, sagt Kirchner.

Die gartenlaubige Stimmung scheint sich auch entspannend auf die sonntäglichen Anbieter und Flaneure auf dem Flohmarkt auszuwirken. Das Gedränge hält sich in Grenzen und bärbeißige Flohmarktprofis sind die Ausnahme. Lustig laut wird es nur im Halbrund des Amphitheaters bei der Karaoke-Show von Joe Hatchiban, die sich in den letzten zwei Jahren als Kult-Veranstaltung etabliert hat. Ab etwa 14 Uhr geht es los. Dann schallt die Musik aus den Boxen, zu der sowohl schräge Vögel als auch unscheinbare Typen ihre Lieblingslieder schmettern, während über tausend Fans auf den Rängen mitgrölen. Jeder wird umjubelt und jeder kommt bei „Youtube“ ins Netz. Das ist Hauspolitik bei „Bearpit-Karaoke“ und die Eingeweihten wissen: Die Show ist aus, wenn Joe zum Mikro greift und „Minnie The Moocher“ singt. Denn das letzte Lied des Tages singt der Macher immer selbst.

Die Premiere von „Mauerpark“ beginnt an diesem Sonntag um 18.15 Uhr im Filmtheater am Friedrichshain. Weitere Vorstellungen gibt es am Montag um 18 Uhr in der Passage Neukölln und am Mittwoch um 18.30 Uhr im Filmtheater am Friedrichshain.

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