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Berlin: Der Integrator

Gilles Duhem war Quartiersmanager. Bei der Abschiedstour redet er Klartext und sagt, was zu tun ist

„Alda, bissu schwul?“, fragten die arabischen Jungs. „Ja“, hat Gilles Duhem geantwortet. „Ich bin schwul, und wenn ihr euch nicht benehmt, zeige ich euch bei der Polizei an.“ Er hat es getan, seitdem ist Ruhe. „Hier gilt eine simple Regel: Jeder benimmt sich.“

Bis Ende Dezember war Gilles Duhem Quartiersmanager im Neuköllner Rollbergkiez, einer der erfolgreichsten in ganz Berlin. Ausgerechnet er, ein schwuler Franzose hat erreicht, woran Lehrer, Sozialpädagogen und Jugendrichter scheitern: sich Respekt verschaffen bei arabischen und türkischen Machos. Heute sagen die Jungs in der Nachbarschaft: „Duhem ist voll schwul, aber voll okay.“

Gilles Duhem, 39, Jeans, schwarzer Wollpullover, kommt nur noch ehrenamtlich in die Straßen um die Ecke der früheren Kindl-Brauerei. Der Senat weigerte sich, weiter mit ihm zusammenzuarbeiten und hat ohne Ausschreibung eine Nachfolgerin bestimmt. Zu hohe Vergütungsforderungen des Rollbergteams und „unterschiedlicher Auffassungen zur Zusammenarbeit“ hätten zu dem Zerwürfnis geführt, sagte Stadtenwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Politische Ranküne, sprachliche Entgleisungen Duhems und Überforderungen in der Senatsverwaltung sind wohl der eigentliche Grund. Duhems Nachfolgerin wurde bei ihren ersten Auftritten im Kiez nicht gerade herzlich aufgenommen. Anwohner, Polizisten, Lehrer hatten noch über die Weihnachtstage Unterschriften gesammelt, um zu überzeugen, dass der Rollberg auf Duhem nicht verzichten kann. Weil er alle an einen Tisch gebracht hat, weil die Kriminalität um ein Drittel gesunken ist und weil der Franzose verstanden hat, wie das Viertel tickt, vielleicht, weil er mit einem fremden Blick kam.

Er fühle sich in Neukölln manchmal wie in einem Dorf mit archaischen Clans. Eigentlich müsste man jede Quartiersmanagementstelle vierteilen: für eine arabische Frau und einen arabischen Mann, eine türkische Frau und einen türkischen Mann. „In diesen Gesellschaften sprechen Männer und Frauen nicht miteinander und die Türken mit den Arabern sowieso nicht. Aber nicht daran zu denken, dem Senat mit sowas zu kommen!“ In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, der die Quartiersmanager unterstellt sind, gebe es keine Visionen für das Zusammenleben von Menschen. Nix. „Wir sind wie ein großes Bauprojekt für die.“ Duhem redet immer schneller. Seine blauen Augen lassen einen nicht los.

Als Quartiersmanager sei er so etwas wie ein Bahnhofswärter gewesen. Vor fünf Jahren, beim ersten „Rock- und Rollbergfest“ war die Bahnhofshalle allerdings leer. Er habe seine Mutter aus Paris geholt, zu zweit hätten sie Stühle aus der Kindl-Brauerei angeschleppt. „Keiner fühlte sich zuständig.“ Der Berliner sei im Herzen Industriearbeiter. Wenn man sage: „Morgen um acht antreten zum Falten der Kiezzeitung“, kämen alle. Erst langsam wachse ein Bürgertum, das so etwas von selbst tue. „Vitaminspritze“ nennt er deshalb die Dahlemer Damen, die Studenten aus Friedrichshain und die Engagierten aus Charlottenburg, die Duhem und seine Kollegen in den Rollbergkiez gelockt haben, um mit Kindern Hausaufgaben machen. Ein kleiner Ersatz für das fehlende Bürgertum in Neukölln.

Um darauf zu kommen, hat Duhem nicht Sozialpädagogik studiert. Er ist Politologe, Volkswirtschaftler und Städteplaner – und setzt auf den „Menschenverstand“. Nach einem Aufbaustudium ist er in Berlin hängengeblieben, hat acht Jahre für die Treuhand Millionenprojekte abgewickelt. Damals, mit Mitte zwanzig, habe er Hartnäckigkeit gelernt und die Liebe zu einfachen Wahrheiten.

Die Leute bräuchten klare Regeln, klare Werte und nicht das „Wischi-Waschi-wir-sind-für-alles-und-für-dasGegenteil-Gequatsche. „Das Schulsystem! Ganztags- aber nicht ganze Ganztagsschulen, sondern „verlässliche“, gebundene und offene Gesamtschulen, und wenn sie Berlin verlassen, ist wieder alles anders. Das kapiert doch kein Mensch“, sagt Duhem und verrollt die Augen.

„Ich will keine Islamisierung in meinem Kiez, keine Verkopftuchung und wenn jemand Hilfe braucht, kriegt er die. Was er sagt, ist manchmal unbequem. Einem jungen Türken, der jammerte, dass er bei der Lehrstellenvergabe als Türke diskriminiert wurde, sagte er: „Zieh dir ein sauberes Hemd an und komme um neun Uhr, wenn man dir das sagt, und nicht erst um zwölf.“

Zu dem zu stehen, was man denkt, habe in seiner Familie Tradition. Seine Großeltern, Apotheker, hätten deshalb 1942 in Frankreich die jüdische Frau mit ihrem Kind nicht weggeschickt. Und die Urgroßmutter habe den Dienstmädchen ein Wörterbuch zu Weihnachten geschenkt und sie auf der Hauswirtschaftsschule angemeldet. 80 Jahre später meldet der Urenkel seinen türkischen Frisör zum Volkshochschulkurs an. „Vier Worte Deutsch, das reicht nicht“, habe er ihm gesagt, „mit dir kann man nicht mal übers Wetter reden.“ Duhem macht sowas nicht aus Nächstenliebe. „Wir müssen das Terrain für uns besetzen“, sagt er . „Zum türkischen Frisör gehen, ins arabische Restaurant und auf Deutsch bestellen. Wir müssen mit den Leuten reden, wenn wir nicht wollen, dass sie sich abschotten.“ Kreuzberg, die Görlitzer Straße, wo er wohnt, Neukölln, das seien wunderbare Stadtteile. So lebendig! So tolle Läden! So viel los! „Das Geheimnis eines Kiezes sitzt nicht zwischen Aktendeckeln, wie die Behörden oft denken“, sagt Duhem. „Man muss hingehen, sich einmischen.“ Eigentlich einfach.

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