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Berlin: Der Junker und die Madonna

Vom Palais des Grafen Raczynski weiß kaum noch einer. Heute steht dort der Reichstag. Aber sein Botticelli ist noch immer in Berlin

Heute ist der Name Raczynski (sprich: Rah-Tschin-Ski) nur wenigen bekannt, aber zwischen 1847 und 1874 konnte man seinen Namen in jedem Berlin-Reiseführer finden. Am damaligen Exerzierplatz vor dem Brandenburger Tor – exakt dort, wo heute der Reichstag steht – hatte der wohlhabende preußisch-polnische Graf ein Palais samt Bildergalerie. Darin zeigte er seine Sammlung von Gemälden und Skulpturen von damals bekannten und heute meist dem Vergessen anheim gefallenen Spätromantikern – etwa Bendemann, Peter von Cornelius, Makart, Overbeck und Schnorr von Carolsfeld.

Politisch war der 1788 in Poznan geborene Raczynski ein durch und durch reaktionärer Monarchist. Obwohl er Diplomat war, wurde er vor allem als Kunsthistoriker und Sammler bekannt. Schon als junger Mann begann er zu sammeln. Den besten Kauf machte er 1824 in Paris, als er für 2500 Francs das heute weltberühmte Rundbild von Botticelli kaufte, „Madonna mit den Engeln und den Lilien“. Auch als Autor war er erfolgreich: Zwischen 1836 und 1841 erschien seine noch heute geschätzte dreibändige „Geschichte der neueren deutschen Kunst“.

Raczynskis Palais am ehemaligen Königsplatz beherbergte nicht nur seine Wohnung und seine Galerie. Im Nordflügel gab es Ateliers für Stipendiaten des preußischen Kultusministeriums, im Südflügel für den Maler Peter von Cornelius; nach Cornelius’ Tod 1867 erhielt der Violinvirtuose Joseph Joachim diesen Flügel für seine Hochschule für Ausübende Tonkunst, heute Teil der Universität der Künste.

Für Berlins Entwicklung war das Areal seines Palais eminent wichtig. 1871 wählte die Baukommission des Reichstags das Grundstück aus, um dort das Reichstagsgebäude zu errichten. Raczynski, der davon aus der Zeitung erfuhr, bekämpfte dieses Ansinnen energisch. Daher konnte der Staat das Grundstück erst etliche Jahre nach dem Tod des Grafen 1874 für den Reichstagsbau erwerben.

Raczynski wurde auf dem Hedwigsfriedhof in der Liesenstraße begraben, später erhielt er ein Mausoleum, das 1968 von der DDR beim Ausbau des Mauerstreifens beseitigt wurde. 1882 kam seine Sammlung für 20 Jahre als Leihgabe in die Nationalgalerie. In einer Stellungnahme über die Zukunft der Sammlung schrieb Generaldirektor Wilhelm von Bode 1902, dass er bereit sei, auf alle schwächeren Bilder zu verzichten – er wolle nur das Botticelli-Bild behalten. Zweimal – 1927 und 1950 – versuchte die Familie, das Bild zurückzubekommen. Erst nach einem Urteil 1953 zugunsten der Familie blieb der Bundesrepublik nichts anderes übrig, als es für 2 Millionen D-Mark zu kaufen. 1954 übernahm es die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Heute ist der Botticelli in der Gemäldegalerie am Kulturforum zu sehen.

Raczynski selbst ist ebenso vergessen wie der Standort seiner Galerie. 130 Jahre nach seinem Tode wurde er jetzt geehrt. Die Grabstelle, von der Denkmalspflege mit detektivischem Spürsinn aufgefunden, wurde mit einer Gedenktafel markiert.

Michael S. Cullen

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