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Berlin: Der Kreisel – verpackt in 21 000 Umzugskisten

Möbelwagen parken vor dem 29-stöckigen Rathaus von Steglitz-Zehlendorf. Ab 23. November arbeitet hier niemand mehr

Von „Kopfläuse-Untersuchungen“ lesen die Männer an einem Schild und grinsen. Gerade nehmen sich die Speditionsleute das Gesundheitsamt vor. Im zweiten Stock biegen sie in einen Gang, dessen Zimmertüren geöffnet sind. Umgeben von gepackten Kartons wirken Mitarbeiter ein wenig verloren. Um sie herum wird in Windeseile Mobiliar abgeräumt, dann kommen Aktenkartons ran. Die Leute vom Amt sitzen auf den letzten Stühlen und verfolgen, wie ihr gewohnter Arbeitsplatz in Einzelteile zerlegt wird. Wie sich das gesamte Innenleben des Kreisels langsam auflöst. Am 23. November ist endgültig Dienstschluss im 29-stöckigen Rathaus von Steglitz-Zehlendorf, dem höchsten Verwaltungsgebäude der Stadt.

Im 22. Stockwerk sitzt Joachim Schadeck, sein Büro ist noch immer voll möbliert, nur ein Stapel zusammengefalteter Kartons kündigt den Umzug an. „Abgehackt“, sagt der Bezirksamtsdirektor zu den Stummelresten einer hohen Zimmerpflanze. Im Zehlendorfer Rathaus ist kein Platz mehr dafür. „Am Dienstag muss ich hier raus“, sagt er. Dann ist auch der schöne Ausblick auf Berlin hin, sein neuer Arbeitsplatz ist vergleichsweise dunkel und hat die Fenster zum Hof.

Aber Schadeck hat andere Sorgen. Er ist Umzugsbeauftragter des Bezirks, muss dafür sorgen, dass der Zeitplan aufgeht und der letzte Bezirksamtsmitarbeiter den asbesthaltigen Kreisel wirklich termingerecht verlässt. „Das schaffen wir“, sagt er. In seinem Büro steht eine große Tafel, auf der Amtsstellen, Orte und Daten vermerkt sind, die „Unterbringungsplanung.“ Die Mitarbeiter werden vor allem insRathaus Zehlendorf, ins alte Rathaus Lankwitz an der Leonorenstraße oder ins frühere Verfassungsschutzgebäude Auf dem Grat/ Clayallee verlagert.

Von einst 700 Kreisel-Beschäftigten sind inzwischen 120 ausgezogen. In zwei, spätestens drei Wochen wird die heiße Umzugsphase erwartet, dann rollen ständig die Möbelwagen vors Rathaus. „Ein logistisches Problem“, sagt Schadeck, bei der gesamten Umzugsplanung „müssen rund 900 Leute bewegt werden“. Denn es wird auch zwischen anderen Standorten umgezogen. Bis am 23. November Bezirksbürgermeister Norbert Kopp (CDU) bei einer kleinen Feier als letzter von Bord geht und das Rathaus symbolisch abschließt.

Im nächsten Jahr will das Land Berlin mit der 17 Millionen Euro teuren Asbestbeseitigung beginnen, die Berliner Immobilien-Management-Gesellschaft (BIM) ist dafür zuständig. Zwei Jahre dauern die Arbeiten. Was dann aus dem Haus werden wird, ein normales Büro- und Geschäftshaus oder gar als exklusives Wohnhaus, ob sich ein Käufer findet, das alles ist noch unklar. Als Rathaus wird es jedenfalls nicht wieder genutzt. Der Senat will es so, das Abgeordnetenhaus hat zugestimmt. Dem Bezirksamt, das stets die zentrale Lage und Bürgernähe seines hohen Rathauses rühmte, muss sich fügen – und sich mit mehr verstreuten Ämtern abfinden.

Noch aber ist der Kreisel kein Geisterhaus, zumal der asbestsanierte Flachtrakt von Becker & Kries mit dem Hotel und den Geschäften in Betrieb bleibt. Gut 30 Umzugskartons sind für jeden Mitarbeiter eingeplant, rund 4,2 Millionen Euro kostet der Umzug mit den rund 21 000 Kartons. Das Bürgeramt ist bereits ins Alte Rathaus gegenüber gezogen. Im Foyer hängt ein Zettel, dass „wegen zahlreicher Einbrüche das Gelände durch Hundestreife bewacht“ wird. Mitarbeiter sind misstrauischer, wenn Fremde durch die Gänge des Hochhauses streichen.

Der Riese ist angeschlagen, aber längst nicht so leer, wie viele glauben. Im 26. Stock ist noch immer die vor zwei Jahren eröffnete Ausstellung zu sehen. Sie erinnert an den Einzug des Bezirksamtes vor 25 Jahren, an das private Pleiteprojekt der Architektin Sigrid Kressmann-Zschach, an Deutschlands bekannteste Bauruine, die mit dem Bezirksamt zum Leben erwacht sei. Zu sehen sind Fotos vom Auszug aus dem alten Rathaus Lankwitz in Richtung Kreisel, nun geht es auch für die Schau zu Ende, wieder nach Lankwitz zurück.

In Zehlendorf sind die Behördenmitarbeiter derweil zusammengerückt. Rund 100 Bedienstete mussten am Teltower Damm untergebracht werden, aus Großbüros wurden kleinere. Bürocontainer Unter den Eichen müssen vermutlich noch bis September kommenden Jahres vom Tiefbau- und Grünflächenamt genutzt werden, weil die einstige Leistikow-Hauptschule in Zehlendorf zwar geschlossen wurde, aber noch nicht als Bürostandort betriebsbereit ist. So wird der große Umzug streng genommen auch am 23. November noch nicht vorbei sein. Doch im im Steglitzer Kreisel gehen dann erstmal die Lichter aus.

Christian van Lessen

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