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Berlin: Der Krieg ist weit weg – und doch so nah

Was Berliner Türken über einen amerikanischen Angriff auf den Irak denken

Schweigend hocken sie da. Schulter an Schulter, als ob sie gerade jetzt demonstrieren wollen, dass sie noch enger zusammenrücken müssen. 500 türkische Männer sind zum Gebet in die Neuköllner Sehitlik Moschee gekommen. Sie wollen beten. Beten im Namen Allahs und des Propheten Mohammed, beten, damit es nicht zu einem Krieg im Irak kommt. Mit gesenktem Blick lauschen die Gläubigen den Worten des Imam. Es sind nicht viele Worte, die der Vorbeter heute zum drohenden Irakkrieg macht. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center hatte er mehr Sympathien für die Amerikaner übrig. „Dieser Angriff steht nicht für den Islam“, sagte er damals, nach dem 11. September und distanzierte sich von den Al-Qaida-Terroristen.

Nach dem Gebet gehen die Männer nicht gleich nach Hause. In kleinen Gruppen stehen sie vor der Moschee, drehen unablässig an ihren Gebetsketten, rauchen. Sie haben das Bedürfnis, miteinander zu reden. Über ihre Heimat, die viele Tausend Kilometer entfernt ist. Über das Land, das die meisten nur aus dem Sommerurlaub kennen und das jetzt zwischen den Fronten steht. Wenn es zum Krieg im Irak kommt, könnten amerikanische Soldaten von der Türkei aus in den Norden des Iraks einmarschieren.

Die Männer vor der Moschee haben nicht viel gemeinsam mit den Menschen, um die sie sich sorgen. Seit Jahrzehnten leben sie in Berlin. Die Jüngeren ihr ganzes Leben. Dass sie von der türkischen Regierung zum Armeedienst eingezogen werden, glauben sie nicht. Mit einer vierwöchigen Grundausbildung seien sie nicht zu gebrauchen, wenn es an der Grenze hart auf hart kommt. Und doch fühlen sie sich verbunden, fühlen türkisch – auch mit deutschem Pass.

„Unsere Verwandten und Freunde leben in der Türkei“, sagt Kamil Sahan. Natürlich mache er sich Sorgen. Und irgendwann wolle auch er ja auch wieder zurück in seine Heimat. „Das türkische Volk will keinen Krieg“, sagt Fevzi Güngörmus. „Die Türkei wird wirtschaftlich unter einem Militärschlag leiden.“ Wie vor zwölf Jahren, als die Amerikaner schon einmal den Irak bombardierten. „Damals“, sagt der Rentner, „hatten sie wenigstens einen Grund.“ Er meint Saddams Überfall auf Kuwait.

„Meine Verwandten in der Türkei verdienen ihr Geld in der Tourismusbranche. Falls es zum Krieg kommen sollte, werden viele Urlauber ihre Reisen stornieren oder erst gar nicht buchen“, sagt Ahmet Ak. „Die Türkei“, sagt er, „ist ein wichtiger Handelspartner des Irak.“ Noch immer erleide die Türkei finanzielle Einbußen durch die verhängten Irak-Sanktionen. Ahmet Ak weiß, dass eine direkte Kriegshandlung auf türkischen Gebiet sehr unwahrscheinlich ist. Aber terroristische Anschläge in der Türkei seien trotzdem nicht auszuschließen.

„No War“ – kein Krieg –, plötzlich hängt es da, ein rotes Plakat mit schwarzer Schrift im Fenster eines Hauses an der Oranienstraße in Kreuzberg. Wer es dorthin gehängt hat, weiß man nicht. In dem alternativen Kiez könnte es auch ein Deutscher gewesen sein. In den umliegenden Bars spricht niemand über den drohenden Krieg. Etem, 29, betreibt seit drei Jahren die „Rote Harfe“. Früher waren es ausschließlich Deutsche, die ihr Bier hier tranken. Doch seit er und sein Bruder den Laden übernommen haben, kommen auch junge Türken in das Szenelokal. „Unserer Generation macht eher die wirtschaftliche Lage Deutschlands zu schaffen. Wir haben Angst, unsere Jobs zu verlieren“, sagt er.

Ein ähnliches Bild auch in der „Makabar“ am Oranienplatz. Die Türkinnen Derya, Aksen und Hülya sprechen nicht viel über den Krieg und über die Heimat. Die Nachrichten schauen die jungen Frauen im Gegensatz zu ihren Eltern lieber im deutschen Fernsehen. „Die sind glaubhafter“, sagt Aksen.

Die Stimmung ist gut in Kreuzberg, denn Krieg ist gerade heute nicht so wichtig. In ein paar Stunden steigt „Gayhane“ im Club SO 36, eine türkische Schwulen-Lesben- Party. Krieg? Irak? Türkei? „Ich lebe in Deutschland“, sagt jemand und tanzt einfach weiter.

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