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Berlin: Der lange Tag der Kontrollen

Nie zuvor prüfte die Polizei an einem Tag so viele Reisebusse wie gestern. Bilanz: Vier Busse mussten stehen bleiben

„Nicht schon wieder!“, stöhnt der Busfahrer vernehmlich hinter seinem geöffneten Fenster. Martin Reschke hat gerade die beiden Verkehrspolizisten entdeckt, die vor der Schöneberger Kita auf ihn warten, zwischen aufgeregt herumquirlenden Vierjährigen. Eigentlich soll er mit den Knirpsen quasi nur eine Runde um den Block drehen. Nach Heiligensee geht die Reise. Doch die Eltern sorgten sich um die Sicherheit ihrer Kinder – „gerade nach den Horrormeldungen der letzten Tage“, sagt eine Mutter – und der Polizei ist es egal, wohin die Reise geht. Auch für die kürzeste Strecke muss ein Bus verkehrssicher sein. Und so darf Reschke zum fünften Mal seit Mai die Protokolle seines Fahrtenschreibers auspacken, damit die Beamten prüfen können, ob er die Lenkzeiten einhält. Er zeigt ihnen den Feuerlöscher und den Verbandskasten. Lässt sie Bremsen und die Lenkung testen. „Alles in Ordnung“, befinden die Polizisten.

Die Uniformierten vom Zentralen Verkehrsdienst der Polizei hetzen weiter. Soviel, wie am gestrigen Montag, hatten sie noch nie an nur einem Tag mit Reisebussen zu tun. Über achtzig Anmeldungen für eine Kontrolle türmen sich auf dem Schreibtisch von Heino Engelhard, Sachgebietsleiter Sonderverkehr. Seit in Berlin mehrere schrottreife Reisebusse aus dem Verkehr gezogen wurden, kommen die Beamten nicht mehr hinterher. „Das grenzt an Hysterie“, sagt Engelhard. Manche besorgte Eltern hätten sogar den Notruf 110 gewählt, weil sie bei der Verkehrszentrale nicht mehr durchkamen. Und doch scheint die Vorsicht berechtigt, denn auch diesmal werden die Kontrolleure fündig. Von 45 gestern überprüften Fahrzeugen ziehen die Beamten vier aus dem Verkehr. Der Grund: defekte Bremsen. Verkehrspolizist Engelhard kann diese Sorglosigkeit nicht fassen. „Es müsste sich doch langsam herumgesprochen haben, dass wir hier besonders genau hinschauen.“

Der Montag beginnt früh für die Beamten. Um sechs Uhr bespricht Engelhard mit seinen zwanzig Zwei-Mann-Teams, was er am Wochenende ausgetüftelt hat: eine Logistik, um möglichst viele der Anfragen abzuarbeiten. Alle werden sie nicht schaffen. Hinter ihm hängt eine große Berlinkarte. Über die Stadt sind Haftzettel mit einer Adresse und einer Uhrzeit verteilt. Ein weißer Zettel bedeutet: kann man machen, muss man aber nicht, weil das Busunternehmen bisher nie negativ auffiel. Orange heißt: auf jeden Fall hinfahren. „Das sind Anbieter, die wir nicht kennen oder die öfter Mängel hatten“, sagt Engelhard. Namen von „auffälligen“ Busfirmen bekommt man von der Polizei aber nicht zu hören. Man wolle niemanden anprangern, heißt es. Verbraucherschützer finden diese Praxis verbesserungswürdig, schließlich müssten Lebensmittel- oder Autokonzerne auch öffentlich fehlerhafte Ware zurückrufen. „Man sollte zumindest Eltern und Lehrern auf Anfrage die schwarzen Schafe der Branche nennen“, meint Gabriele Francke, Geschäftsführerin der Berliner Verbraucherzentrale.

So mancher sieht aber auch ein Stück der Verantwortung bei den Eltern. „Der Kostendruck macht es den Firmen schwer“, gibt selbst ein Vater zu. Er würde gern 20 oder 30 Euro mehr zahlen, wenn er wüsste, dass sein Sohn dann sicherer fährt. Doch das findet Martina Köhler, Mutter eines der Kinder aus der Kita, die nach Heiligensee aufbrechen, „nicht akzeptabel“. „Es wird alles teurer, die Schulbücher zum Beispiel. Klar, dass da manche Eltern auf den Euro schauen müssen.“

So bleibt die Verantwortung bei der Polizei hängen. Eltern, Lehrer und Schüler – alle fühlen sie sich beruhigt, wenn die uniformierten Gutachter einen Blick auf ihren Bus geworfen haben. Dabei übernehmen die keine Garantie dafür, dass auch alle heil ans Ziel kommen. „Wir können nicht in die Technik hineinschauen“, sagt Carsten Kühl, der in Spandau gerade einen Bus aus Celle unter die Lupe nimmt. Eine 11. Klasse aus Spandau will mit ihm nach Tschechien. „Wenn dem Bus unterwegs ein maroder Reifen oder ein Bremsschlauch abfliegt, dann ist das mit den Kontrollen nicht zu verhindern“, sagt Kühl. „Wir können nur sagen, ob der Bus zum Zeitpunkt der Begutachtung verkehrstüchtig ist.“ Für einen intensiven Blick in den Motor oder unter die Fahrzeugwanne reicht weder die Zeit noch das Material. Die Busse sind heute so gebaut, dass man ihnen auf der Straße nicht mehr unter das Bodenblech schauen kann – sie hängen zu tief.

Der Fahrer und Eigner des Busses, Hans-Georg Brokman, ist sauer, auch wenn es bei ihm keine Mängel gab. Alle Kollegen würden unter Generalverdacht gestellt, schimpft er fast im Losfahren. Die Eltern sollten erst einmal selbst schauen und wenn etwas nicht stimme, könnten sie immer noch die Polizei rufen. Doch gleich mit den Beamten zu warten? „Da fühlt man sich ja wie ein Verbrecher.“

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