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Berlin: Der letzte Anschlag

Schreibmaschinenmechaniker Dietrich Tietz liebt sie alle: Karin, Regina und Gabriele. Sein Geschäft trotzt dem Computerzeitalter

Gabriele wirkt ein wenig klobig und eckig. Gewiss, ihr Wagenrückzugshebel aus Chrom, das mattblaue Gehäuse und die cremefarbenen Tasten haben etwas Divenhaftes. Dietrich Tietz hat mal 458 Mark für Gabriele bezahlt, vor rund 26 Jahren. Mit Koffer. Seitdem ist sie ihm von allen Schreibmaschinen die liebste. Das Tolle an Gabriele sind vor allem ihre inneren Werte: Treue, Zuverlässigkeit, Unabhängigkeit, Beständigkeit. Eigentlich alles, was moderne Schreibmaschinen, die so genannten Computer, vermissen lassen. Tietz, ein behäbiger Mann, „seit vielen Jahren in Rente“, hält die Digitalisierung der Arbeitswelt für eine gefährliche Fehlentwicklung.

Das Geschäft „Breitkreutz Büromaschinen“ in Friedenau fällt etwas aus der Zeit. Im Schaufenster stehen acht Schreibmaschinen unterschiedlicher Bauart vor einer Holzfurnierwand. Angepriesen werden sie mit einem schlagkräftigen Klassiker der Werbesprache: „Gelegenheit: 49 Euro“. Auf einigen Maschinen steht auch „Gelegenheit mit Koffer“.

Dietrich Tietz trägt seine Haare eng am Kopf, streng nach hinten gekämmt. Fürs Foto zieht er einen Kittel über Pullover und Krawatte. Soll alles seine Ordnung haben, auch wenn der Laden etwas rumpelig wirkt. Seine Schreibmaschinen heißen Karin, Regina oder Mercedes, seltener Consul oder Continental. Sie sind bis zu 90 Jahre alt und doch jederzeit einsatzbereit. Für Nostalgie und Sammelleidenschaft hat Tietz wenig Verständnis. Es geht ihm nicht um Mythos, sondern Funktion.

So gegen 10 Uhr kommt ein Kunde ins Geschäft und fragt nach Diktiergeräten. Dietrich Tietz schickt ihn ein paar Straßen weiter. Der nächste Besucher, so um 11 Uhr, ist Stammkunde, ein „pensionierter Gynäkologe“ mit Graubart und Pelzkappe. Er hat ein leer getipptes schwarzes Farbband aus seiner alten Olympia, einer Reiseschreibmaschine, mitgebracht und hätte gerne ein neues, am liebsten in Rotschwarz. „Geht das?“ Viele Menschen mit Schreibmaschinen treten sehr devot auf, weil sie befürchten, keine Ersatzteile mehr zu bekommen oder gar ausgelacht zu werden. Der Stammkunde möchte seinen Namen nicht verraten, betont aber, auch einen Computer zu besitzen, mit dem er öfter E-Mails an seine Kinder verschicke. Wenn er selbst verreist, ist seine Olympia immer dabei – „ich habe die einfach gerne“. Tietz kennt auch handfestere Motive für so viel Anhänglichkeit: „Wenn sie im Wald ihre Memoiren schreiben wollen.“

Dietrich Tietz hat nach dem Krieg Schreibmaschinenmechaniker gelernt. Dreieinhalb Jahre lang. Damals hatten die Olympia-Werke mit Sitz in Erfurt eine große Reparaturwerkstatt in Berlin. Die wichtigste Arbeit war, russische Schreibmaschinen „umzutypen“, also die kyrillischen Buchstaben auf den Typenhebeln durch lateinische zu ersetzen und die Tastenaufdrucke zu ändern. Später ging Tietz zu den Damen in den Schreibstuben und pinselte die Radierkrümelchen aus der Mechanik. Dann noch ölen und fetten, vielleicht die Tastenfederung nachjustieren, wenn der Anschlag zu labbrig geworden war. Könnte man mit der Arbeit eines Klavierstimmers vergleichen, nur komplizierter, meint Tietz.

Schon die Einführung der elektrischen Schreibmaschinen habe viele Sekretärinnen an den Rand der Verzweiflung getrieben. Finger, die jahrzehntelang auf die Tasten eingeprügelt hatten, sollten plötzlich sanft antippen. Und dazu dieses unaufhörliche nervöse Sirren der Elektromechanik. Die Hände mussten über den Tasten schweben, um sich für den nächsten Anschlag bereitzuhalten. Auf den mechanischen Maschinen konnten sich die Hände ausruhen, während der Kopf nachdachte. Dazu war es absolut still.

Mit den Computern wollte Tietz dann nichts mehr zu tun haben. Was soll ein Mechaniker mit Mikrochips? Breitkreutz Büromaschinen – in die Firma war Tietz 1969 eingestiegen – schloss seine Filialen, bis nur noch eine übrig war. Wenn er gerade keine Schreibmaschine zum Reparieren hat, schaut Tietz Fernsehsendungen über Hacker, Computerwürmer, Betrug im Internethandel und die virtuellen Machenschaften der Geheimdienste. „Was man da so hört, ist ja grausig.“ Tietz verfolgt die Probleme der Computernutzer mit einem Anflug von Schadenfreude. Mit der absturzsicheren, unangreifbaren, virengeschützten Schreibmaschine, selbst das geniale Produkt einer technischen Revolution, hätte sich die Gesellschaft besser zufrieden geben sollen.

Breitkreutz Büromaschinen, Dickhardtstr. 61, Friedenau. Wegen Öffnungszeiten vorher anrufen: Tel. 8515073

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