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Berlin: Der Letzte lacht am besten

In der Luisenstraße Nummer 18 feiert heute die Landesvertretung von Sachsen-Anhalt Eröffnung. Sie zieht in ein Gemäuer mit viel Geschichte

Die halbe Luisenstraße wird erblühen, wenn heute an der strahlend hellen Fassade vom Haus Nummer 18 bunte Fahnen wehen, bekannte Stadtmenschen erwartungsvoll durchs Eingangstor schreiten und sich der Bundespräsident die Ehre gibt. Genau fünf Jahre nach dem Kauf des herrschaftlichen Wohnhauses, das seine 175-jährige Geschichte nie verleugnen wollte und zuletzt ein ziemlich unansehnlicher Kasten war, eröffnet nun das Land Sachsen-Anhalt in der alten Friedrich-Wilhelm-Stadt seine Vertretung. Im Neubau liegen 32 Büros für 28 Mitarbeiter. „Die Lage ist ideal“, schwärmt der neue Bevollmächtigte Michael Schneider, ein promovierter Literaturwissenschaftler. „Bundespressekonferenz und Bundestag sind sehr nah dran.“ Um noch schneller an Debatten und Entscheidungen zu kommen, haben die Anhaltiner gleich noch einen S-Bahn-Bogen gemietet. Das geplante Restaurant, ein Bierkeller und ein Glasdach über dem Hof fielen jedoch der Sparsamkeit zum Opfer.

Sachsen-Anhalt eröffnete als letztes Land seine Vertretung in der Bundeshauptstadt. Die 16 Repräsentanzen sind damit komplett, nur Berlin ist aus seinem Gebäude in der Wilhelmstraße ins Rote Rathaus gezogen, um Kosten zu sparen. Elf Länder haben sich neue Häuser gebaut, sieben in den Ministergärten. Vier ließen schöne, denkmalgeschützte Altbauten herrichten – als erste Bayern in einer Bank in der Behrenstraße und Sachsen in einem neobarocken Versicherungshaus in der Brüderstraße. Hamburg residiert im einstigen „Club der Kulturschaffenden“ in der Jägerstraße, nachdem die Hanseaten den Sachsen-Anhaltinern ihr ursprüngliches Domizil in der Luisenstraße 1998 ziemlich überteuert verkauft haben – für 16,5 Millionen D-Mark. Dabei hatten die Hamburger das Grundstück für nur 11,4 Millionen Mark erworben.

So ungewöhnlich wie diese Transaktion, die in Magdeburg sogar vor einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss kam, ist auch die Geschichte des Hauses. Der Denkmalarchitekt Peter Lemburg zerstört die Legende vom „Bülowschen Palais“: Dies vielseitig genutzte Haus war stets voller Leben. Vor 150 Jahren wohnte hier ein Pferdehändler namens Elkan, hinten gab es Stallungen, auch den Tattersall. 1900 ist das Haus ein Teil der Königlichen Universität, in den zwanziger Jahren finden sich hier Burschen- und Landsmannschaften, die Mitglieder von Freimaurerlogen, und in alten Adressbüchern fand Peter Lemburg die Namen von fast 40 Mietparteien.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, die Trümmer rauchen noch, schenkt die kulturfreundliche Siegermacht das repräsentative Wohnhaus den Berliner Bühnenkünstlern, und gibt ihm den Namen von Anton Tschechows Stück „Tschaika“: „Die Möwe“. Nun treffen die Daheimgebliebenen auf die zurückkehrenden Emigranten, Bert Brecht und Helene Weigel wohnten hier, Ernst Busch und Hans Albers, Paul Wegener und Gustav Knuth. Gustaf Gründgens, Erich Kästner und Hanns Eisler erwärmten sich an den nahrhaften Sonderzuteilungen der Sowjets, bekamen Kohl und Kohlen für Kultura. Später wurde die „Möwe“ der Gewerkschaft Kunst im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund angegliedert und FDGB-Chef Harry Tisch feierte bis zum Umfallen. Die gute Küche und die Restaurants der „Möwe“ in ihrem leicht plüschigen dunkelroten Ambiente waren wirklich etwas Besonderes.

Von all dem ist nicht viel geblieben. Die Hülle vom edlen Bürgerhaus umschließt den vorzüglich restaurierten Altbau mit seinem gusseisernen Treppenhaus, dem holzgetäfelten Kaminzimmer mit Spiegeln, Landschaftsgemälden und Wandmedaillons. Und einen riesigen Raum mit falschem Marmor und zwei barbusigen „Karyatiden“, die die Decke auf ihren Schultern tragen. Die denkmalgeschützten Damen aus Pappmaché kamen wahrscheinlich nach dem Brand der „Möwe“ von 1970 an ihren Platz, vielleicht vertrauten die Bühnenbildner bei der Neugestaltung auf die belebende Wirkung lächelnder FKK-Mädels aus Gips. Als die „Magdeburger Volksstimme“ erfuhr, dass dieser Raum für den Ministerpräsidenten reserviert ist, titelte sie flugs fünfspaltig: „Nackte Frauen zieren den Eingang zu Böhmers Arbeitszimmer in Berlin“.

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