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Berlin: Der Lindenfall

Der Kampf um den letzten Baum an der Crellestraße endet mit Säge, Tränen und 70 Polizisten. Nun steht die grüne Baustadträtin in der Kritik.

Als um 11 Uhr die Kettensäge zu rotieren beginnt, schwillt der Protestlärm deutlich an. „Schweine“, ruft eine Frau, eine andere spricht von „Baufilz und Korruption“. Eine dritte, die etwas abseits steht, bekommt einen Heulkrampf. Vorher hatte sie durch lautes Schreien versucht, die Räumung des Protestcamps an der Crellestraße zu verhindern. Doch nach wenigen Minuten ist die Linde gefällt. Unter den 20 Anwohnern, die sich an der Polizeiabsperrung versammelt haben, macht sich Enttäuschung breit.

Die Crellestraße in Schöneberg ist ein verkehrsberuhigter Altbaukiez, schön grün, weil teilweise direkt am Bahndamm der S 1 gelegen. Dort wuchert es seit Jahrzehnten, vom „Creller Urwald“ ist die Rede. Ein Teil davon soll nun abgeholzt werden, weil ein Investor einen Neubau mit 34 Wohnungen plant. Noch vor wenigen Jahren, erzählen die Anwohner, sollte dort ein Spielplatz entstehen, doch die Planung sei wieder kassiert worden. Statt Kinderrutsche und Kletternetz werde ihnen nun ein „überdimensionierter Betonklotz“ mit Tiefgarage vor die Nase gesetzt.

Festmachen ließ sich der Protest gut an den alten Linden, die nicht wie üblich an der Straße stehen, sondern am Rand des Baugrundstücks. Deshalb entschied das Grünflächenamt, dass sie gefällt werden müssen. Zwei Linden fielen gegen den Widerstand der Anwohner der Kettensäge zum Opfer, die dritte wurde erfolgreich besetzt.

Zweieinhalb Wochen lang wechselten sich die Baumbesetzer ab, erzählt Aktivistin Anja Jochum. Fünf bis zehn Unermüdliche, die in einer Hängematte auf dem Baum ausharrten oder im Zelt am Fuße der Linde schliefen, Tag und Nacht. Viele Helfer hätten sie unterstützt, nicht nur aus dem Kiez. Doch als am Morgen wieder mal ein Schichtwechsel sein sollte, standen plötzlich Polizisten um sie herum und verhinderten, dass wieder jemand auf den Baum klettert. Zivilpolizisten hätten das Camp zuvor ausgekundschaftet und im richtigen Moment ihre Kollegen alarmiert, sagt Jochum.

Die Polizei will sich zum genauen Ablauf des Einsatzes nicht äußern. „Natürlich sind bei so einem Einsatz auch Zivilpolizisten beteiligt“. Insgesamt seien 70 Beamte vor Ort gewesen, um dem Bezirk Amtshilfe zu leisten. Die Räumungsaktion sei friedlich verlaufen. Dazu sollte auch ein Antikonfliktteam beitragen, doch die Beamten mit der gelben Weste blieben hinter der Polizeiabsperrung stehen. Auf die verbalen Attacken der Anwohner reagierten sie nicht.

Der BUND hat den Fall genauer unter die Lupe genommen. Der ursprüngliche Bauentwurf sei viel verträglicher gewesen, sagt BUND-Geschäftsführer Tilman Heuser. Bäume und Bahnböschung hätten erhalten werden können. „Mit dem Aufblasen seiner Planung hat der Investor seine Maximalrendite einem friedlichen Nebeneinander mit den Nachbarn geopfert.“ Ein Vertreter des Investors wollte sich dazu nicht äußern.

Die Anwohner werfen vor allem der grünen Baustadträtin Sibyll Klotz vor, sich nicht ausreichend gekümmert zu haben. Auf einem Plakat am Balkon gegenüber dem Bauplatz steht: „Klotz abwählen“. Viele in der Straße fühlen sich von der Partei, die sie jahrelang gewählt haben, verkauft. Doch Sibyll Klotz sieht für ein Eingreifen der Verwaltung keine rechtliche Handhabe. Der Investor habe auf dem ehemaligen Bahngelände uneingeschränktes Baurecht.

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