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Berlin: Der Mann hinter Schindlers Liste

Ein Zeitzeuge zu Gast in einer Berliner Schule: Mietek Pemper half dem berühmten Fabrikanten

Was seine Augen gesehen haben, bleibt unsichtbar. Aber dass es Spuren hinterlassen hat, merkt man. Etwa daran, wie Mietek Pemper, der freundliche kleine Herr aus Augsburg, das Mikrofon umklammert. Mit beiden Händen, dass die Knöchel weiß werden. Als brauche er einen Halt. Der 85-Jährige spricht von Dingen, die monströs sind, vielleicht zu monströs für den Nachmittag in einer Schulaula, auch wenn die Schule in Hohenschönhausen Oskar-Schindler-Schule heißt und die Jugendlichen viel über ihren Namensgeber und die Zeit damals wissen.

Mietek Pemper hat Oskar Schindlers „Liste“ getippt, die Namen von 1200 Juden, die der Geschirrproduzent als Zwangsarbeiter anforderte – um sie zu retten.

Davor musste Pemper als Stenograph für Amon Göth arbeiten, den Leiter des Konzentrationslagers Plaszów bei Krakau. 500 Tage lang, vom 18. März 1943 bis zum 13. September 1944, war er jeden Tag mehrere Stunden mit Göth zusammen. Göth hätte ihn jederzeit erschießen können, einfach so, ohne Begründung. „Eines Tages sitze ich bei ihm“, erzählt Pemper mit ruhiger Stimme. „Während er mir diktiert, sieht Göth in den Außenspiegel an seinem Fenster. Damit konnte er das Gelände vor der Baracke überblicken. Plötzlich steht er auf, nimmt ein Gewehr und öffnet das Fenster. Ich höre Schüsse, dann Schreie. Dann kommt Göth zum Schreibtisch zurück und fragt: Wo waren wir stehen geblieben?“

Die Neunt-, Zehnt, Elft- und Zwölftklässler starren zum Podium, es ist still. „Ich habe diesen neutralen Satz in demselben ruhigen Ton so oft in meinem Leben gehört, davor und danach“, sagt Pemper. Jedesmal, auch jetzt noch, würde die Szene von damals hochkommen. „Wie das Normale ins Anomale kippte und umgekehrt, das hat mein Nervenkostüm zerrüttet“, sagt Pemper. Dann macht er eine Pause, holt Atem und fügt an: „Ich muss gestehen, nach dem Krieg musste ich mich erstmal einer psychologischen Therapie unterziehen.“

Pemper zeigt einen Mitschnitt seines Fernsehauftritts von vor einigen Jahren. Die Schüler erfahren, dass Pemper davon ausging, dass Göth ihn umbringen wird, weil er durch seine Arbeit in der Kommandantur so viel wusste. So hatte er in einem Geheimbrief an Göth gelesen – und an Schindler weiterverraten, dass ab 1944 nur noch die „siegentscheidenden“ Betriebe mit Zwangsarbeitern weiterbestehen sollten. Also keine Geschirrfabriken. Oskar Schindler stellte aufgrund dieser Information seine Fabrik auf Rüstungsgüter um. Ohne Pempers Tipp wäre die ganze Rettungsaktion wohl nicht zustande gekommen. Während das Video läuft, streicht Mietek Pemper unentwegt mit einem Zettel über seine Hose.

„Ich erlebe oft, dass es schwierig ist, die erste Frage zu stellen“, sagt er nach dem Film, „deshalb empfehle ich Ihnen, beginnen Sie doch mit der zweiten Frage.“ Ein kurzes Lachen huscht durch die Reihen. Es meldet sich keiner. Pemper erzählt einfach weiter. Erst als Pemper nach eineinhalb Stunden für die Aufmerksamkeit dankt und sich fürs Foto zu den Schülern setzt, kommen einige zaghafte Fragen: „Wie war Oskar Schindler?“ „Wann wurde die Rettungsaktion nach dem Krieg bekannt?“, „Wie war das, als Sie nach dem Krieg im Prozess gegen Amon Göth aussagten?“ Einige halten ihm zum Signieren das Buch „Der rettende Weg“ (Hoffmann & Campe) hin, in dem Pemper seine Geschichte aufgeschrieben hat. Das Thema sei so riesig, so grauenhaft, sagt eine 16-Jährige, „da kann man doch nicht einfach so losfragen“. Pemper verstaut seine Unterlagen in einer Plastiktüte und verabschiedet sich. Die Schüler schauen ihm nach, ratlos. „Man muss erst warm werden“, sagt ein Mädchen. Das sei nicht richtig gelungen. Dennoch sei die Vergangenheit greifbar gewesen, irgendwie.

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