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Berlin: Der Plan ist übererfüllt

Fast jede Vorstellung ist ausverkauft: Der Film „Good bye, Lenin“ ist ein Renner. Wollen die Besucher die DDR zurück, oder ist der Film einfach nur gut?

Es gibt sie noch – die Blauhemden: Eisern stehen Mitglieder der Freien Deutschen Jugend auf dem Alex und demonstriert für den Frieden im Irak. Ein Grüppchen nur, das sich mit ihren Transparenten gegen den Ostwind stemmt, der über den Platz weht. Die DDR lebt? Ja, zumindest einige hundert Meter weiter im Kino International. „Good bye, Lenin“ zieht die Besucher scharenweise in das ehemaligen DDR- Premierenkino, das mittendrin liegt in den Kulissen des Films von Regisseur Wolfgang Becker.

„Ich bin sehr gespannt“, sagt Dagmar Sommer, die sich mit ihrer ganzen „Sippschaft“, wie sie sagt, aus West und Ost „Good bye, Lenin“ an der Karl-Marx-Allee anschauen will. „Es gibt doch nicht so viele Filme über die Wendezeit.“ Sie, im Osten sozialisiert und mit 61 Jahren gar nicht alt, verspricht sich auch ein Stück Vergangenheitsbewältigung: „Wir haben doch alle Erinnerungen an diese Zeit, jeder hat seine eigenen. Vielleicht schafft es der Film ja, diese Erinnerungen über die Generationen hinweg noch einmal aufleben zu lassen.“

Von Ostalgie ist im Kino International hingegen nichts zu spüren: Einsam künden Zirkel und Ährenkranz am Tresen der Panoramabar vom abgewickelten Arbeiter- und Bauernstaat; DDR-Wohnzimmeratmosphäre, Blauhemden oder Winkelemente sucht man vergebens. Unaufgeregte Neugierde – vielleicht sind die Berliner einfach zu abgeklärt. „In Leipzig läuft ,Good bye, Lenin‘ mit grandiosem Rahmenprogramm“, weiß die Sprecherin des Filmverleihs, Helena Lax, „da stehen ganze Wohnungseinrichtungen in den Foyers, und die Besucher lassen sich noch einmal in ihre Geschichte zurückfallen.“ Über eine Million Besucher haben seit dem Kinostart am 13. Februar den Film bereits gesehen – die Zahlen sind eindeutig: „Es ist ein gesamtdeutscher Film!“, glaubt Lax, und das nicht nur, weil die Crew ebenfalls aus Ost und West kommt. „In unserem Kino wird ,Good bye, Lenin‘ mit Begeisterung bis hin zum Jubel aufgenommen“, bestätigt International-Theaterleiter Rudolf Fink, für diesen Film gebe es auch gar kein besseres Haus als das seine. Die Besucher sehen das auch so: Seit Filmstart ist das Kino bei fast jeder Vorstellung ausverkauft. Ähnlich sieht es auch in anderen Häusern aus, zum Beispiel dem Cinemaxx-Colosseum in Prenzlauer Berg.

Nach zwei Stunden sind der Rückblick in die Wendezeit vorbei, nur langsam lösen sich die fünfhundert Besucher aus den Sesseln. Die Ostalgie-Komödie, die viele Besucher erwartet hatten, war es nicht: „Das war kein fröhlicher Film“, und Ruth Heinisch gesteht auch einige Tränen ein. Die Rentnerin ist „gelernte Berlinerin“ und hat das rigorose Einschreiten der Volkspolizei zum 7.Oktober 1989 noch in deutlicher Erinnerung. „Das war im Film schon sehr grob dargestellt. Und nicht alle DDR-Bürger haben in so hässlichen Tapeten gelebt!“ Die Schrankwand hat die 72-Jährige aber wieder erkannt: „Die stand auch bei uns.“ Trägt „Good bye, Lenin“ zur geschichtlichen Jugendbildung bei? „Für 15-Jährige ist der Film nicht gemacht“, glaubt die Rentnerin, „und er erzählt auch nicht die Geschichte der Wende. “

Der Freundeskreis um Dagmar Sommer kommt auch ins Grübeln, den Osten wünscht sich aber keiner zurück: „Ich habe ein Stück Heimat gesehen, das nicht meine ist“, glaubt Florian Stempfle, der mit seinen 22 Jahren nur rudimentäre Erinnerungen an die Wendezeit hat – und an die DDR gar keine: „Ich komme aus Bayern und wohne jetzt in Prenzlauer Berg. Der Alltag in der DDR ist mir oft erzählt worden, jetzt habe ich auch Bilder dazu gesehen.“ Sein Freund Karsten Dieter (29) erinnert sich gerne wieder an die Zeiten der Wohnungsbesetzungen und der illegalen Clubs. Er hat „Good bye, Lenin“ schon zum zweiten Mal gesehen, doch das erste Mal im Ostteil der Stadt: „Ich glaube ja, dass an den Lachern zu unterscheiden ist, wer aus West- und wer aus Ostdeutschland kommt.“ Heftig wird in der Runde widersprochen – schon ist die Diskussion vor dem Kino International eröffnet.

Mit englischen Untertiteln läuft „Good bye, Lenin“ im Cine-Star (Sony-Center).

Ole Meiners

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