zum Hauptinhalt

Berlin: Der Schloßplatz – kein Ort temporärer Beliebigkeit

Warum die Humboldt-Box, nicht aber eine Kunsthalle auf den Schloßplatz gehört Von Klaus-Dieter Lehmann

Intensiv wird derzeit über die „Zwischennutzung“ des Schloßplatzes diskutiert. Was soll in den wenigen Jahren bis Baubeginn beziehungsweise Fertigstellung des Humboldt-Forums die Leere in der Mitte Berlins füllen? Ich meine: Es muss etwas Mutiges sein und die Zukunft des Ortes vorbereiten – ein Auftritt, der begeistert, der informiert, der Sehnsucht weckt nach dem vollendeten Humboldt-Forum.

Aus diesem Grund haben wir die Humboldt-Box geplant. Es ist keine Infobox, die den Baufortschritt dokumentiert, wie früher die Infobox am Potsdamer Platz. Es ist die Idee des Humboldt-Forums in nuce – mit wechselnden Ausstellungen, Veranstaltungen, Workshops und virtueller Animation. Schon in der Humboldt-Box soll das spannende Zusammenspiel von Kulturerbe, Kulturwissen, Kulturbegegnung und Kulturerlebnis der außereuropäischen Kulturen gezeigt werden. Die Zwischennutzung muss erkennen lassen, dass es hier um einen internationalen Weltort der Kunst und Kulturen geht. Überlässt man den Ort temporär der Beliebigkeit, um das eine oder andere „Berliner Defizit“ auszugleichen, dann verschenkt man die Idee und verliert den Schwung auf das große Ziel.

Berlin hat mit der Verwirklichung des Humboldt-Forums auf dem Schloßplatz eine einzigartige Chance, diesem Platz in der Mitte der Hauptstadt einen faszinierenden Sinn für die Zukunft zu geben. Ist die Museumsinsel als Ideengeschichte Europas verbunden mit dem Wirken Wilhelm von Humboldts, so ist der geistige Vater für die Gestaltung des gegenüberliegenden Schloßplatzes Alexander von Humboldt, der die Offenheit gegenüber fernen Kulturen formuliert hat. Was vor zweihundert Jahren nur ein Modell sein konnte, können wir heute realisieren: in der Mitte Berlins einen internationalen Ort der Kunst zu schaffen. Ein Nutzungskonzept, das dem Humboldtschen Anspruch für die Moderne gerecht werden will, gleichermaßen wissensbasiert und erlebnisfreudig zu sein, darf sich aber nicht in traditionellem Spartendenken erschöpfen. Die außereuropäischen Kulturen – von ihren alten Zeugnissen bis zur zeitgenössischen Kunst – sollen in der Wechselwirkung von Text- und Bildkultur, Wissenschaft, Film, Theater und Musik vermittelt werden. Im Humboldt-Forum soll Kunstgenuss gleichberechtigt neben der Auseinandersetzung über Chancen und Risiken der Globalisierung stehen. Es soll als ein globales Netzwerk funktionieren und ein attraktives Veranstaltungszentrum für das breite Publikum sein. Das Humboldt-Forum bietet ein mutiges Konzept als Antwort auf eurozentrische Ignoranz. Gleichrangigkeit der Kulturen anstatt Gleichgültigkeit, Weltoffenheit anstatt Nabelschau.

Die Humboldt-Box wird einen umfassenden Ausblick bieten auf dieses Konzept. Aber Humboldt-Box und Kunst von heute schließen einander nicht aus, im Gegenteil, gerade für die Idee des Humboldt-Forums ist die Gegenwartskunst eine unverzichtbare geistige Ingredienz. Sie bietet mit ihrer Internationalität und Medienvielfalt ein ideales Ferment für den neuen, universalen Blick des Humboldt-Forums auf Geschichte und Zukunft der Kulturen der Welt. Mit diesem Bekenntnis zur Gegenwartskunst bezieht das Humboldt-Forum auch eine klare Position gegen die traditionelle Historisierung der außereuropäischen Kunst als Belegstück der Ethnologie.

Wenn im 19. Jahrhundert Alexander von Humboldt und im 20. Jahrhundert der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss die europäischen Vorstellungen von den außereuropäischen Regionen maßgeblich geprägt haben, so können es zu Beginn des 21. Jahrhunderts die bildenden Künstler im internationalen Kontext sein.

Berlin ist als Standort für ein solches Konzept geradezu prädestiniert, besitzt die Stadt doch in Form des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst die weltweit wichtigsten Sammlungen außereuropäischer Kunst und zugleich eine der vitalsten zeitgenössischen Kunstszenen überhaupt. Die zahlreichen Kuratoren für Gegenwartskunst aus den außereuropäischen und europäischen Sammlungen, dem Hamburger Bahnhof, der Neuen Nationalgalerie sowie die Kuratoren für Architektur, Fotografie und Mode garantieren für die Humboldt-Box, später das Humboldt-Forum, ein Ausstellungsprogramm auf höchstem Niveau. Mit dem Humboldt-Forum und der Humboldt-Box bringen wir beides auf den Schloßplatz: zeitgenössische Kunst und die Faszination für die Kulturen außerhalb Europas. Wir sollten unsere Kräfte bündeln und die Chancen nicht vertun. Bis April 2008 muss die Humboldt-Box stehen.

Eine Kunsthalle, wie sie diskutiert wird, ist für Berlin wichtig, aber nicht auf dem Schloßplatz. Dieser Ansatz benutzt den Platz und die Debatte um ihn, um die Aufmerksamkeit auf eine Idee zu lenken, aber nicht um eine wirkliche Entwicklung einzuleiten. Eine Kunsthalle gehört eher in den Umkreis des Hamburger Bahnhofs. Dort entstehen neue Galerien und Künstlerateliers. Sie benötigen Unterstützung, Impulse und Aufmerksamkeit. Warum Geld für Eintagsfliegen ausgeben, wenn man Strukturen für die Kunst entwickeln kann, die ein kreatives Umfeld schaffen. Eine Kunsthalle sollte kein zeitlicher Lückenbüßer sein, sondern eine wirkliche Tat.

Der Autor ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false