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Berlin: Der Seelengasometer

Von Michael Zajonz Besonders fein war die Berliner Schnauze nie, wenn es galt, mehr oder weniger gelungene Werke der modernen Architektur mit Kosen zu belegen. Wer das historische Stadtzentrum mit auftrumpfenden baulichen Gesten beglückte, brauchte auf den Spott nicht lange zu warten.

Von Michael Zajonz

Besonders fein war die Berliner Schnauze nie, wenn es galt, mehr oder weniger gelungene Werke der modernen Architektur mit Kosen zu belegen. Wer das historische Stadtzentrum mit auftrumpfenden baulichen Gesten beglückte, brauchte auf den Spott nicht lange zu warten. Aufhorchen lässt allerdings, dass die modernen Herz- und-Schmerz-Bauten der Berliner in der „guten alten Zeit“ einen prominenten Vorläufer besaßen. Der evangelische Berliner Dom am Lustgarten war bereits kurz nach seiner Eröffnung 1905 als „Seelengasometer“ verrufen.

Dass der von Julius Raschdorff entworfene Zentralbau in den Formen der italienischen Hochrenaissance lange Zeit der wohl unbeliebteste Monumentalbau der Stadt blieb, darin wussten sich die Berliner einmal mit dem Urteil ihrer Experten einig. Seine Bauformen wirken, so ein Kritiker zur Eröffnung, „als nehme ein Anatom von 20 Pferden verschiedene Körperteile, um ein Idealpferd zusammenzustellen.“ Noch 1930 empfahl der Planer und Publizist Werner Hegemann in seiner berühmten Streitschrift „Das steinerne Berlin“ schlicht die „Beseitigung des kaiserlichen Domes“.

Wie es zu solchen Ausfällen kommen konnte und warum man die ungeliebte Ruine nicht nach 1945 abgerissen hat, wurde vor zwei Jahren während eines Symposiums im Dom erörtert. Endlich liegen seine Ergebnisse nun als Sammelband vor. Neben der Dokumentation einer Podiumsdiskussion zur heutigen Funktion des Doms finden sich Aufsätze über die Baugeschichte (einschließlich der Vorgängerbauten), zu theologischen und politischen Positionen der Hof- und Domprediger zwischen Kaiserreich und DDR sowie zum Wiederaufbau. Über all dem schwebt die Frage, wie der Dom als Grablege der Hohenzollern ein späteres Abrücken von den Zielen dieser Traditionspflege verkraftet hat.

Gewiss, zur Geschichte des Doms gehört auch seine Vorgeschichte: die Baugeschichte der gotischen Dominikanerkirche am späteren Schlossplatz, ihre Erhebung zur Hof- und Begräbniskirche der Hohenzollern nach der Reformation sowie die Entscheidung Friedrichs II., am Lustgarten neu zu bauen; weiter die Umgestaltung Schinkels, die 1848 gestoppten großartigen Neubaupläne Friedrich Wilhelms IV., schließlich die komplizierte Planungsgeschichte der evangelischen Haupt- und Staatskirche des Kaiserreiches. All dies ist in den Monographien Wolfgang Schümanns und Karl-Heinz Klingenburgs profunder dargestellt. Gleichwohl bietet der aktuelle Band einige Neugewichtungen. Etwa Peter Lemburgs exzellenten Beitrag über Raschdorff und die Domrezeption, der zeigt, wie sich der zunächst erfolgreich für die Rechte der Privatarchitekten streitende Kölner Baumeister mit dem ganzen Gewicht jungkaiserlicher Protektion zwischen alle Stühle setzte. Der Mann war erledigt und bekam in Berlin 20 Jahre lang keinen einzigen privaten Auftrag mehr. Wer für diesen Kaiser baute und buckelte, den bestrafte doppeltes Künstlerpech: Man kritisierte Raschdorffs Dom - und meinte Wilhelm II.

Lohnender blieb die Kaisertreue für diejenigen Hof- und Domprediger, die nicht nur „Thron, Bajonett, Katechismus“ als „Stützen unseres preußischen Staates“ predigten, sondern schon mal den Sturz eines liberalen Kultusministers empfahlen. Lediglich Adolf Stoecker, den Fontane mit einem rasenden Derwisch verglich, betrieb den „Kulturkampf“ gegen die Sozialdemokratie auch außerhalb der Kanzel, so dass Wilhelm II. seine Absetzung vorzog. Der Kirchenhistoriker Gerhard Besier zeigt anhand des 1914 berufenen Bruno Doehring (der bis zu seinem Tode 1961 auf dem Titel eines Hofpredigers bestand) die Gefährdung monarchistisch-altpreußischer Gesinnung in all ihren Facetten. Doehring hatte noch 1931 gegen die Reichsregierung agitiert. Diese Courage verließ ihn, nachdem sich die braunen Machthaber im Dom eingerichtet hatten, um hier politische Anlässe mit sakraler Aura zu umspinnen.

Wie also weiter, nachdem am Lustgarten das Hakenkreuz gefallen war und sich schlussendlich der Koloss aus gelbgrauem schlesischen Sandstein, grünlich patiniertem Kupfer, schimmernden Glasmosaiken und Tonnen vergoldeten Stucks in einen unansehnlichen Haufen Stein verwandelt hatte? Im Blick auf die Nachkriegsgeschichte repliziert das Buch leider das Versäumnis des Symposiums, den Zeitzeugen und einstigen Akteuren wie Altbischof Albrecht Schönherr oder Manfred Stolpe, seinerzeit auch Verhandlungsführer der Evangelischen Kirche der DDR in Sachen Kirchenbau, eine quellenkritische Sichtweise zur Seite zu stellen.

Klar wird allerdings eines: Als der DDR-Ministerrat 1972 den Wiederaufbau beschloss, formulierten Vertreter der evangelischen Kirche massive Bedenken. Man konnte sich einfach nicht vorstellen, wie angesichts des preußisch-reformatorischen Theaterdonners moderne Seelsorge aussehen könnte, fürchtete wohl auch die schiere Größe und die hohen Unterhaltskosten. Letztlich wurde der Dom mit D-Mark-Spritzen der EKD finanziert, ohne dass es im Westen allzu publik gemacht worden wäre. Eine nationale Tat, wie Manfred Stolpe vermutet? Auf jeden Fall ein Fingerzeig darauf, dass preußisches Kulturerbe eine Bedeutung jenseits seines künstlerischen Wertes beanspruchen darf.

Der Berliner Dom. Zur Geschichte und Gegenwart der Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin. Jovis Verlag, Berlin. 288 S., 25,80 Euro.

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