zum Hauptinhalt

Berlin: Der Stadtreiniger

James Hobrecht erfand die Kanalisation – und löste ein überfälliges Problem

Vor 140 Jahren war die Industrialisierung zwar schon in Berlin angekommen, doch in den Straßen roch es noch nach Mittelalter. Entlang der Rinnsteine lief das Abwasser in Richtung Spree wie einst, als Berlin noch nicht Großstadt mit 800000 Einwohnern war, sondern ein Weiler in der Nachbarschaft von Cölln an der Spree. Es stank nicht nur zum Himmel, schlimmer, es grassierten auch Typhus und Cholera.

Schon seit 1816 hatte es Projekte gegeben, das Abwasser aus den Rinnsteinen zu spülen. 1861 entwarf Friedrich Wiebe ein erstes Kanalisationsmodell – doch die Stadtverordneten lehnten es ab, und der Magistrat befand anderes für wichtiger. Zugleich zeichnete sich ab, dass die Spree die Fäkalien von immer mehr Menschen nicht länger aufnehmen konnte.

1871 endlich stimmte der Magistrat einer systematischen Lösung zu: James Hobrecht, Absolvent der Berliner Bauakademie und Stadtbaurat von Stettin, hatte eine Stadtentwässerung für Berlin und die angrenzenden Gebiete projektiert, bestehend aus zwölf voneinander unabhängigen Teilnetzen, die später erweitert werden konnten. Durch ein Rohrleitungssystem in jedem Segment sollte das Abwasser zum jeweils tiefsten Punkt fließen. Von dort wurde es mittels Dampfkraftpumpen auf landwirtschaftlich genutzte Flächen außerhalb der Stadt befördert.

Der Mediziner Rudolf Virchow unterstützte Hobrechts Pläne ebenso vehement wie sein Bruder Arthur, der im Jahr darauf zum Oberbürgermeister gewählt wurde. Während das System von der Stadtmitte her ausgebaut wurde, interessierten sich Städte in Europa und Asien für Hobrechts Kenntnisse. Die Berliner Entwässerungsgebiete kauften Güter im Umland, um Platz für die Rieselfelder zu bekommen. 1876 gingen die ersten Anlagen in Betrieb, 1893 funktionierte das gesamte System – und blieb teilweise rund 90 Jahre lang in Betrieb.

Die Verrieselung auf den Stadtgütern löste nicht nur ein hygienisches Problem, sondern auch ein logistisches: die Versorgung der Berliner mit landwirtschaftlichen Produkten. Wo gedüngt wurde, gedieh Obst und Gemüse umso besser. obs

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false