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Berlin: Der stille Steinwald

Es weht kein Wind, es fallen keine Blätter – zwischen den 2500 Stelen des Holocaust-Mahnmals

Von oben betrachtet, aus dem buntenBallon an der Ebertstraße, wirkt es, als hätte jemand einen riesigen Baukasten ins Gelände geschüttet und dann versucht, die Steine zu ordnen oder wenigstens nebeneinander zu legen. Ein imposantes Bild. Und ohne Zweifel wird es ein Magnet an der Touristenmeile Reichstag – Brandenburger Tor – Potsdamer Platz, wenn eines Tages das Betreten nicht mehr verboten, sondern sehr erwünscht ist. Schon jetzt stehen immer mehr Leute am Bauzaun, der sie von den grauen Steinblöcken des Holocaust-Mahnmals trennt, und versuchen, ihrer Ratlosigkeit Herr zu werden.

Vom Rande aus betrachtet wirken die schmalen Gassen zwischen den Stelen nachgerade einladend. Man möchte da hinein, neugierig auf Antworten zu ungestellten Fragen. Vorn an der Straße sind die niedrigsten Steinplatten in den Boden gelassen, dann steigt deren Höhe unregelmäßig an, in der Mitte der Betonmasse stehen die stärksten Quader, fünf Meter zwanzig hoch, 15 Tonnen schwer. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in den Ministergärten des früheren Regierungsviertels zwischen Ebert-, Behren- und Wilhelmstraße wirkt wie hin- und hergeschoben – so uneinheitlich wie die Meinungen über das Stelenfeld, die man vielleicht in drei Kategorien teilen kann. Erstes Drittel: Empörte Steuerzahler finden das alles zu gewaltig und monumental, die Rede ist von „’rausgeschmissenem Geld“. Zweites Drittel: Warum gerade hier und weshalb nur für die Juden? Drittes Drittel: Das ist eindrucksvoll und toll, genau das Richtige, um nachzudenken über Schuld und Sühne. So hört man es allenthalben in der Ebertstraße, wo die Leute bis in die Nacht auf der Aussichtsplattform stehen, auf die dunkelgrauen, gestaffelten Blöcke blicken, schweigend, flüsternd oder sprechend.

In einem guten halben Jahr,wenn alle 2700 Stelen stehen (zur Zeit sind es schon 2500), wenn im Mai die Einweihungsreden gehalten und die schwarzen Limousinen weggefahren sind, öffnet sich das begehbare Denkmal für jedermann, und jeder wird mit seinem eigenen Gespür, mit Beklemmungen, Ängsten, aber auch mit den Fragen an die Geschichte allein sein – wie wir gestern bei dieser Begegnung mit der Einsamkeit zwischen den Stelenwänden.

Je mehr ich mich der Mitte dieses durchwegten Steinwaldes nähere, desto ferner ist die Welt da draußen. Der Verkehr, das Geschnatter, alles wird leise, und das in der Mitte der Stadt. 95 Zentimeter breit sind die Abstände zwischen den Steinblöcken. Im Gehen beginnt man unversehens, die schiefergrauen Wände mit den messerscharfen Kanten zu berühren. Vielleicht möchte man sie verstehen, die Sprache dieser Steine, die schräg und schief, mal höher und mal tiefer angeordnet sind, bis sie einen plötzlich eingeschlossen haben von vier Seiten – wohlkalkulierte Bedrückung statt Geborgenheit. Man läuft auf schwärzlich-dunkelgrauen, mit Flugasche gemischten Betonsteinen, 945 000 Stück bedecken den Boden, der sich hebt und senkt und so ein Schwanken erzeugt. Oder diesen Effekt einer Welle oder eines bewegten Kornfeldes, wie es sich der Architekt gewünscht hat, als er mit Hilfe seines Computers jedem Stelenstein befahl, eine eigene Haltung einzunehmen.

Es ist kein Irrgarten, aber man kann sich leicht verirren oder denjenigen aus den Augen verlieren, mit dem man dieses offene Mahnmal betreten hat. Nur die Wolken bewegen sich, und Leben ist in jenem schmalen Spalt zwischen den Stelen, an dessen Ende die Bäume des Tiergartens stehen oder die Autos über die Behrenstraße rollen. Hier weht kein Wind, fallen keine Blätter. Es ist still.

Im „Ort der Information“, der später über den Holocaust und dieses Denkmal informieren soll, wird mit Hochdruck gearbeitet, „bis zu 180 Leute sind auf dem Bauplatz“, sagt der Geschäftsführer der Denkmal-Stiftung, Hans-Erhard Haverkampf, unter einem der Kräne zwischen den Stelen. Er ist überzeugt, dass der Bau am 12. Mai 2005 zur Einweihung fertig ist. Dann werden junge Bäume an den Rändern stehen und nachts in den Boden eingelassene Lampen leuchten, es wird einen zivilen Wachschutz geben, der darauf achtet, dass niemand die Stelen beschmiert oder auf ihnen herumspringt, und dass niemand zwischen den Steinblöcken sein Nachtlager aufschlägt. Dann werden die Touristenbusse in der neuen Cora-Berliner-Straße an der Ostseite des Mahnmals direkt über dem einstigen „Führerbunker“ halten und auf ihre Gäste warten, die zwischen den Blöcken stehen, fotografieren und ihren Weg zurück suchen – ratlos oder klüger.

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