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Berlin: Der Streit in der Gemeinde ist auch am Gedenktag präsent

Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden, führt die Konflikte in Berlin auf die „Machtgelüste einzelner Personen“ zurück

Von Frank Jansen

Er ist doch gekommen. Er steht am Rednerpult, in der Rolle, der sein Leben gilt: der des Kritikers, des Unerbittlichen. „Nein, es gibt keine Entschuldigung“, sagt er. Der Holocaust sei nicht entschuldbar, die Deutschen seien nicht unschuldig. Er geißelt den jüngsten „Salon-Antisemitismus“ und die NPD – „eine verbrecherische Partei“. Als der Mann von der Bühne geht, bekommt er lang anhaltenden Applaus. Er verbeugt sich. Der Mann heißt Michel Friedman. Er war Vizepräsident des Zentralrats der Juden, ein gefürchteter TV-Moderator. Dann gab es eine Affäre um Kokain und Prostituierte. Das nehmen ihm in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin noch immer einige übel. Wäre es nach ihnen gegangen, dann wäre Friedman am Mittwoch bei der Gedenkfeier zum 9. November nicht aufgetreten.

Aber es gibt eine Sache, die selbst Friedman ausspart an diesem Abend: Einen Kommentar zu den jüngsten Ränkespielen in der Jüdischen Gemeinde verkneift er sich. Albert Mayer, bis vor ein paar Tagen deren Vorsitzender, und Gideon Joffe, sein Nachfolger, tun es ihm gleich. Nur Walter Momper, Präsident des Abgeordnetenhauses, erlaubt sich einen dezenten Hinweis auf das Chaos, als er vor seiner Rede Joffe viel Glück wünscht „bei seinem schweren Amt“.

Allerdings wird in den hinteren Reihen im großen Gemeindesaals über einen diskutiert, der seine Meinung zum Zustand der Gemeinde ziemlich deutlich kundgetan hat: Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden. In einem vorab verbreiteten Interview der „Jüdischen Allgemeinen“, sagt er, die „Machtgelüste einzelner Personen“ seien Schuld an der schwierige Lage der Gemeinde. Spiegel spricht von einem „negativen Image für Juden insgesamt“. Die ungewisse Zukunft der Gemeindeleitung sei Besorgnis erregend. Und in derselben Ausgabe beklagt der frühere Generalsekretär des Zentralrats, Micha Guttmann, aus einer international hoch angesehenen Gemeinde sei innerhalb von zehn Jahren eine „Chaos“-Organisation geworden.

Mahnmal in Grunewald erneuert

Die Eisenbahnschwellen sind vom Gestrüpp befreit, eine neue Messingplatte erinnert an den Schrecken der Deportation. Rechtzeitig zum Jahrestag der Pogromnacht von 1938 ist jetzt ein kleines Mahnmal am S-Bahnhof Grunewald wiederhergestellt worden. Gestern Abend konnten die Teilnehmer des jährlichen Trauermarsches zum Bahnhof sehen, was zivilgesellschaftliches Engagement bewirkt. Das Minimahnmal auf einer Verkehrsinsel sieht wieder so aus, wie es die Frauengruppe der evangelischen Grunewald-Gemeinde 1987 gestaltet hatte. „Das ist ein tolles Zeichen“, freute sich Linde Hübler. Sie hatte vor 18 Jahren mit ihrer Gruppe die Gedenkstätte eingerichtet, weil außer einer Bronzetafel mit hebräischer Inschrift damals auf dem Bahnhofsgelände nichts an die 50 000 Juden erinnerte, die hier von 1941 bis 1945 den Transport in die Vernichtungslager antreten mussten.

In diesem Sommer hatte Hübler jedoch, wie berichtet, festgestellt, dass die kleine Gedenkstätte verkam. Auf Anregung Hüblers nahm sich der Vizebürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, Klaus-Dieter Gröhler, der Sache an. Der Leiter des Grünflächenamtes, Christoph-Maria Maasberg, schickte Auszubildende zum Bahnhof Grunewald, die das Mahnmal wieder in Ordnung brachten.

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