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Berlin: Der Swing ist hin

Die Friedrichstraße stand mit ihrem Revuetheater und den Clubs für die Goldenen Zwanziger. Nun wollen Investoren das Flair zurückbringen. Gelungen ist das noch nicht: Im Norden der Straße herrscht Tristesse, im Süden wohnt die Eleganz. Aber neuer Schick ist nicht gleich alter Glanz

Wenn es eine Müllkippe für vergangene Epochen gäbe, dann wäre dies wohl die Ecke, an der sie die Goldenen Zwanziger abgeladen hätten: Eine Hofdurchfahrt voller Bierflaschen und Taubendreck, davor ein Bauzaun, der im Wind schaukelt. Vor der Fassade des alten Hauses hängt eine Bauplane, die barmherzig verhüllt, wie es darunter aussieht. Dafür haben sie ein Foto auf die Plane gedruckt, das die alten Säulen, Reliefs und großen Fenster dokumentiert. Damals hieß das Haus noch so, wie der Schriftzug auf der Plane es behauptet: Admiralspalast.

Knapp drei Kilometer ist sie lang, die Friedrichstraße, die sich schnurgerade durch Berlins Mitte zieht. Gewerbetreibende, unter anderen das Kulturkaufhaus Dussmann und die Galeries Lafayette, haben sich zusammengeschlossen, um den alten Glanz aufzufrischen und die Friedrichstraße zur Einkaufsmeile Nummer eins zu machen. Am Dienstag laden sie zu ihrem Jahresempfang.

Wer wissen will, wie die Friedrichstraße war und wie sie ist, der braucht nur eine Weile hier vor dem verlassenen Revuetheater zwischen Bahnhof und Spree zu stehen. Und plötzlich wird klar: Eigentlich wollte die Friedrichstraße den Leuten immer nur Spaß machen. Nur ist ihr, seitdem die Zwanziger vorbei sind, immer etwas dazwischen gekommen. Nun ja, vielleicht klappt es ja in diesem Anlauf. Denn die Friedrichstraße, verkündet die Interessengemeinschaft Gewerbetreibender, swingt wieder.

Swing, das war damals, als im Admiralspalast der Champagner floss und die Revuegirls mit Federn und Zylinder tanzten. Ja, die wilden Parties. Die Revuen, Varietés und Operetten. Die Künstleravantgarde, leichte Mädchen und linke Literaten, sie alle bevölkerten die Friedrichstraße, sie ließen die Namen ihrer Clubs bis ins Heute nachhallen. Das Imperator. Der Wintergarten. Das Mokka Efti. Das Gold der Zwanziger spiegelte sich in den Leuchtreklamen der Friedrichstraße wider. „Solang noch Untern Linden die alten Bäume blühn, kann nichts uns überwinden“, haben sie bei der Revue im Admiralspalast gesungen. „Berlin bleibt doch Berlin!“ Ein schöner Spruch, ein Traum.

Standup-Comedy im Tränenpalast

In Erfüllung gegangen ist er nicht. Man braucht sich nur um die eigene Achse zu drehen, und schon hat man ihn im Blick, den ganz anderen Palast, den blauen Schlichtbau mit dem schrägen Dach, den sie gegenüber gebaut haben. Tränenpalast haben sie ihn genannt, jene, die dort geweint haben. Eine blonde Reiseführerin mit Schirm in der Hand erklärt, dass DDR-Grenzer dort die Reisenden kontrolliert haben, die am Bahnhof nebenan in einen Zug gen Westen steigen wollten. Hier mussten sie sich verabschieden, die Besucher aus dem anderen Deutschland, die für einen viel zu kurzen Tag ihre Familien in Ost-Berlin wiedergesehen hatten. Unvorstellbar heute. Die Touristengruppe schüttelt kollektiv den Kopf. Das war ein Tiefpunkt. Einer von vielen. Damals war in der Friedrichstraße nicht mehr viel übrig von der guten Laune.

Doch auch Tiefpunkte gehen vorbei. Jetzt läuft im Tränenpalast Kabarett und Standup-Comedy, gesponsert unter anderem vom „Neuen Deutschland“; in diesen Wochen steht Martin Buchholz auf dem Programm, sein Gesicht grinst von der blauen Wand zu den Punkern hinüber, die an der Straßenbahnhaltestelle inmitten ihrer kläffenden Hunde anstoßen. Von ihnen sind also die Bierflaschen in der Hofdurchfahrt.

Die werden übrigens bald weggeräumt, denn seit kurzem gibt es auch für den Admiralspalast neue Pläne. Beziehungsweise alte Pläne: Ein „modernes großstädtisches Volkstheater“ mit Konzerten und einem Club stellen sich die Investoren vor; auch das alte Thermalbad, in dem sich die Berliner in den Zwanzigern geaalt haben, wollen sie erneuern, nachdem Finanzsenator Sarrazin noch kurz zuvor mit dem Gedanken gespielt hatte, einfach das ganze Gemäuer abzureißen. Sogar der Name soll jetzt wiederkommen und mit ihm ein bisschen vom alten Glanz.

Neuen Schick, ja, den gibt es an der Friedrichstraße längst, und das nicht zu knapp. Man muss nur ein paar Schritte Richtung Unter den Linden machen, die Eisenbahnbrücke unterqueren, und schon hat man sie hinter sich gelassen, die schäbige Welt nördlich des Bahnhofs. Keine Punker mehr, keine kläffenden Hunde, sondern ältere Frauen in Pelzmänteln und Anzugträger, die ihren Starbucks-Kaffee im Pappbecher mit ins Büro nehmen. Von hier bis zur Leipziger Straße, das ist der gute Kilometer Friedrichstraße, die neue Friedrichstraße, mit den teuren Boutiquen, dem Kulturkaufhaus Dussmann und den Friedrichstadtpassagen.

Hier sind die meisten der Läden, die sich zur Interessengemeinschaft (IG) zusammengeschlossen haben. Schon jetzt sei die Friedrichstraße die eleganteste Einkaufsstraße der Stadt, sagt IG-Geschäftsführerin Dorothee Stöbe, während sie im Einstein-Coffeeshop eine heiße Schokolade trinkt. Am Dienstag lädt die IG zu ihrem Jahresempfang ins Westin Grand. Das Swing Dance Orchestra wird aufspielen, um die letzten Zweifel wegzuschunkeln, dass der Beat zurück ist in der Friedrichstraße. Das aber dürfte schwer werden, denn wenn man vor der Glasfassade der Galeries Lafayette steht, spürt man: Auf dem guten Kilometer Friedrichstraße swingt wenig, da zieht es nur.

Neuer Schick ist nicht gleich alter Glanz. Die neue Friedrichstraße zwischen Bahnhof und Leipziger Straße ist wie die Frau im schwarzen Kostüm, die nachmittags unten im Quartier 206 am Flügel sitzt und verträumte Melodien spielt.

Die alte Friedrichstraße, das waren die grellen Lichter des Tanzkabaretts Faun auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo es um drei Uhr morgens noch Mokka gab. Das Faun ist vor 60 Jahren bei einem Bombenangriff zerstört worden. Genau wie meisten anderen Clubs. Wobei es mit der guten Laune schon vorher vorbei war – spätestens, seit Joseph Goebbels den „Totalen Krieg“ verkündete hatte.

Wo das Faun stand, steht heute das Russische Haus mit seiner Plattenfassade. Und doch: Wenn es dunkel wird an der Friedrichstraße, dann liegen die Zwanziger in der Luft. Die Leuchtreklamen werfen ihr buntes Licht auf den Asphalt, am Bahnhof kommt ein Zug quietschend zum Stehen, und vor dem Friedrichstadtpalast drängeln sich die Menschen. Gleichgültig, dass die Fassade aus DDR-Fertigbauteilen besteht. Gleichgültig auch, dass der Friedrichstadtpalast vor dem Krieg ganz woanders stand. Heute Abend geben sie die Palastrevue. Das Jahr ist 2004, doch es könnte auch 1927 sein. Die Friedrichstraße glänzt. Zumindest ein bisschen.

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