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Berlin: Der Täter und des Opfers Bruder

Es gibt noch einen Grenzwachturm in Mitte. Gestern ist er Gedenkstätte geworden. Die endliche Geschichte einer Mauerpartnerschaft

Von David Ensikat

Jürgen Litfin ist Bruder eines Erschossenen, und Hagen Koch ist Offizier a.D. Die beiden waren vor einem Jahr auf der Titelseite der „New York Times“ abgebildet, in trauter Zweisamkeit, sie haben sich vom ZDF interviewen lassen und vom Discovery Channel. Ihr Thema: die Mauer.

Gestern hat Jürgen Litfin eine Mauergedenkstätte eingeweiht, und Hagen Koch hat zu Hause inmitten seiner Akten gesessen und von „Zersetzungsmaßnahmen“ gesprochen.

Günther Litfin, Jürgen Litfins Bruder, ist am 24. August 1961 an der Mauer erschossen worden. Er war das erste Maueropfer. Hagen Koch hat elf Tage zuvor den weißen Grenzstrich am Checkpoint Charlie gezogen, später war er Stasi-Offizier.

Jürgen Litfin ist heute Rentner und kümmert sich um das Gedenken seines Bruders. Zwei Gedenkstätten gibt es inzwischen: einen Stein, unweit der Stelle, an der die Schüsse fielen, und nun noch einen echten Grenzwachturm mit Gedenktafel dran, ein paar hundert Meter entfernt. Hagen Koch verdient sein Geld mit der Geschichte seines Lebens und der der Mauer. In seiner Wohnung hütet er ein großes Archiv mit DDR-Schriftstücken zur Staatsgrenze. Wenn jemand einen lebhaften Vortrag zur Täter- und Opfer-Verstrickung und zum Mauerbau will, kann er Hagen Koch buchen.

Zweieinhalb Jahre ist es jetzt her, da trafen sich die beiden zum allerersten Mal. Jürgen Litfin weihte gerade den Gedenkstein an der Sandkrugbrücke ein, und Hagen Koch war dabei, wie er überhaupt meistens dabei ist, wenn es um Mauerdinge geht. Koch sprach Litfin an, er habe da einen Grenzturm, den letzten, den es in Mitte noch gebe, hier der Schlüssel, man könne doch mal hingehen und überlegen, ob man da nicht gemeinsam was draus machen soll.

Der Turm, ganz nah dem Invalidenfriedhof, stand unter Denkmalschutz, drum stand er überhaupt noch da. Eine Münchener Immobilienfirma hatte das Grundstück vor Jahren gekauft, hat Häuser drauf gebaut, rund herum um das Stück Geschichte aus Beton. Hagen Koch besaß den Schlüssel, da die Pächter der unpraktischen Immobilie – zuerst ein Trickfilmstudio, dann ein Wirt – letztlich doch nichts damit anzufangen wussten. Wenn Koch, dem Mauermann, was einfiele, sollte er mal machen. Der Mauermann führte Leute her und sagte: Seht, alles meins, da wird mal ein Museum draus.

Und nun, im Januar 2000, hatte er endlich den richtigen Partner gefunden, Jürgen Litfin. Der fand die Idee, hier eine Gedenkstätte mit Dokumentation zur Mauer hineinzubauen, wunderbar, Material hatte Koch ja zur Genüge. Und Litfin kannte Hinz und Kunz, „den Mittelstand“, wie er es sagt, und er begann, den Turm auszumisten und auszubauen. Zwischendecken kamen rein und Strom und Wasser. Koch war es recht, dass sich jemand kümmert. Hin und wieder brachte er Gruppen her, die die Reste des Schutzwalls suchten.

Vor zwei Wochen stand Koch mal wieder vor dem Turm, und siehe da: Sein Schlüssel passte nicht, es steckte eine neue Tür im Turm. Hagen Koch war aus dem Spiel.

Jürgen Litfin hatte ja alles selbst gemacht, den ganzen teuren Umbau, und nun fand er, dass Koch, der „Wichtigtuer, der alles an sich reißt“, zu der Sache nicht gut passe. Ein Ex-Stasi-Offizier, ein Täter – wie soll denn das aussehen, wenn es um die Maueropfer geht? Hagen Koch ist einer, den die Berliner Offiziellen eher meiden, ein wenig unheimlich ist er ihnen, das hatte Litfin inzwischen auch erfahren. Bei den Verhandlungen um Weg- und Nutzungsrechte mit den Eigentümern und denen vom Bezirk hat er den Kompagnon aus alten Tagen schon lang nicht mehr hinzugebeten. Der fühlt sich hintergangen, logisch, spricht im erprobten Vokabular von „Zersetzung“ und wundert sich andererseits auch nicht so sehr. So etwas geschieht ihm immer wieder. Er verdient halt sein Geld als Täter außer Diensten.

Zur Einweihung waren jede Menge Politiker geladen, der Thierse, der Flierl, der Wowereit. Sie kamen nicht. Etwa weil sie, ganz umsonst, Hagen Koch fürchteten? Ach nein, es war wohl einfach der Termin. Die Mauersache hat man doch vor einer Woche abgehandelt.

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