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Berlin: Der Tanz ist wie eine eigene Sprache - jeden Dienstag treffen sich die Enthusiasten

Manchmal tanzt Rosa mit geschlossenen Augen. Dann schiebt sie ihr Tanzpartner Olaf nach links, rechts oder nach hinten, er dreht sich mit ihr oder lässt Rosa alleine drehen.

Manchmal tanzt Rosa mit geschlossenen Augen. Dann schiebt sie ihr Tanzpartner Olaf nach links, rechts oder nach hinten, er dreht sich mit ihr oder lässt Rosa alleine drehen. Dann wiegen sie sich zur Musik, sie überkreuzen die Füße oder Rosa streckt ein Bein nach hinten und zieht einen Halbkreis. Und manchmal, bei großen Schritten, lässt der Schlitz im roten Minirock den in einen schwarzen Nylonstrumpf gehüllten rechten Oberschenkel aufblitzen.

"Der Tango ist wie eine eigene Sprache", sagt Rosa Tripp. Seit acht Jahren tanzen sie und ihr Freund Olaf Heischel bereits Tango. "Man spürt während des Tanzens, was der Partner am Tag erlebt hat oder was ihn beschäftigt. Sogar in einer Beziehung ist jeder Tango anders. Man weiß vorher nie, wie der Tangoabend endet. Und gerade das ist das Spannende." Wie sie tanzen manche Paare versunken, lächeln leise und einige Frauen schließen sogar die Augen. "So kann ich mich besser darauf konzentrieren, wie ich geführt werde", erklärt Rosa. "Beim Tango musst du dich fallen lassen und blind darauf vertrauen, wohin du geschoben wirst."

Um halb zehn gehören die beiden zu den ersten Gästen der Kalkscheune in Berlins Mitte. Nur vier Paare bewegen sich auf der Tanzfläche zum Takt der Musik. "Für diese Zeit ist es noch leer", sagt Martina (Name geändert), die am Eingang die Eintrittskarten verkauft. Viel Stammpublikum sei dabei, erzählt sie, Paare oder Singles also, die sich untereinander kennen und es genießen, mit mehreren Partnern zu tanzen. Einige "Cracks" seien darunter, die schon jahrelang tanzen, aber auch Anfänger. "Die meisten gehören aber zum guten Mittelfeld", sagt Martina. Besonders voll ist die Tanzfläche zwischen elf und zwölf. Danach gehen die ersten, um die letzte U-Bahn zu erwischen. Die letzten Tänzer gehen um drei Uhr, wenn die Kalkscheune schließt. Etwa hundert Gäste kommen zu jedem Tangoabend, der dienstags angeboten wird - "für Tänzer und Voyeure" verspricht der Veranstaltungskalender.

Heute abend ist Christian so ein Voyeur. Zumindest hat er noch nicht getanzt, sondern genießt nur die "schwoofige Atmosphäre". Und "schwoofig" ist sie um elf Uhr allemal: zwanzig Paare scheuern inzwischen mit ihren glatten Ledersohlen über den Linoleumboden. Die meisten sind zwischen 30 und 50 Jahre alt. Diejenigen, die an den kleinen quadratischen Tischen mit einer Kerze sitzen, folgen mit den Augen den Tanzenden und deuten manchmal mit dem Zeigefinger auf sie oder Personen an anderen Tischen. Scheinwerfer leuchten mit roter Farbe den Raum aus, und drei Ventilatoren bringen etwas Bewegung in die heiße und feuchte Luft. Was den Reiz des Tangos ausmacht? "Man tanzt zu zweit und kann viel mehr improvisieren als bei den Standardtänzen. Man tanzt freier und spontaner." Gerade dadurch lerne er seine Partnerin besonders gut kennen. "Durch die Körpersprache wird viel preisgegeben. Ich merke, ob jemand eine offene oder geschlossene Körpersprache hat und ob sich eine Frau führen lässt oder lieber selbst sagt, wo es lang geht." Manchmal erfahre er während des Tanzens mehr über die Partnerin als in einem dreistündigen Gespräch, sagt er. Außerdem sei Tango ein intimer Tanz, aber trotzdem unverbindlich, weil man nicht gezwungen ist, sich mit dem Partner zu unterhalten.

Alle Tänzer scheinen sich an diese Unverbindlichkeit aber nicht gewöhnen zu wollen. "Durch die melancholische Musik, dieses Gesäusel, haben alle das gleiche Gefühl von Sehnsucht und Wehmut. Gerade dadurch und die intime Art des Tanzens drängt es sich auf, dass manchem Tänzer auch der Gedanke an eine feste Partnerschaft aufkommt." Tango zu tanzen sei aber ein Spiel und man müsse aufpassen, nicht die Regeln zu verletzten. "Gerade Deutsche benehmen sich manchmal wie feurige Argentinier und lassen die Frau die harte Schale spüren", sagt er.

Statt zuerst zur Partnerin Abstand zu halten, würden sie die Frau sofort an sich pressen und ihr zu verstehen geben, dass man nach der Tango-Nacht auch zusammen nach Hause gehen könnte, erzählt er. Und wenn es ganz arg liefe, mache der Mann der Frau auch noch Vorwürfe, dass sie schlecht tanze. "Ich habe schon von manchen Frauen gehört, dass sie mit einigen Männern nie wieder tanzen würden", sagt Christian. Aber natürlich gibt es auch Frauen, die ihm auch schon einen Zettel mit der Telefonnummer in die Brusttasche gesteckt haben, obwohl der eigene Freund daneben saß.

"Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzt", erklärt der DJ Thomas. Und fast könnte man ihm Recht geben, wenn man hört, wie melancholisch Violine, Kontrabass und das Bandonion, das man am ehesten mit einem Akkordeon vergleichen kann, aus den Lautsprechern kratzen und wimmern. "Der Tanz sieht für Außenstehende zwar ernst und tragisch aus, macht aber trotzdem Spaß. Wahrscheinlich spürt man die richtige Atmosphäre erst nach mehreren Abenden", sagt Martina. Neben dem normalem Tango, bei dem der erste der vier Schritte betont wird, gibt es den Tango Vals. Er ist eher beschwingt und wird mit typischem "rum-ta-ta"-Walzerrhythmus gespielt. Der dritte Tanz ist die Milonga, die im 2/4-Takt gespielt wird und Ähnlichkeit mit der Polka hat.

"Sie ist ein fröhlicher, bewegter Tanz", sagt Thomas. Mit seiner grauen Stoffhose und dem weißen Oberhemd gehört er zu den elegant angezogenen Männern. Einige tragen schwarze Hosen und weiße Oberhemden, manchmal spannen sich sogar Hosenträger über ihre Schultern. Einige kommen in normaler Alltagskleidung, in blauen Jeans und bunten Hemden. Die Frauen haben sich durchweg eleganter angezogen. Sie tragen dunkle, klassische Kleidung, meist einen Rock oder ein Kleid mit Schlitz. "Die Tendenz geht zu klassischer Kleidung, aber es sind die Frauen, die sich mehr Mühe geben. Der Mann gibt zwar sein Bestes, was aber manchmal gerade reicht, um nicht nackt zu sein", lacht Rosa.

Kathrin Klette

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