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Berlin: Der Techno ist tot, es lebe der Techno

Techno ist unser Leben - so könnte das Motto der Betreiber des "Sternradios" am Alexanderplatz lauten. Wenn Karina Mertin und Dirk Werthmann, zwei der Clubbesitzer, über ihre Beziehung zur elektronischen Musik erzählen, sprechen sie vor allem von einer "dauerhaften Faszination" und einer "aus der Nähe verfolgten Entwicklung.

Techno ist unser Leben - so könnte das Motto der Betreiber des "Sternradios" am Alexanderplatz lauten. Wenn Karina Mertin und Dirk Werthmann, zwei der Clubbesitzer, über ihre Beziehung zur elektronischen Musik erzählen, sprechen sie vor allem von einer "dauerhaften Faszination" und einer "aus der Nähe verfolgten Entwicklung." Heute können sie längst von dieser Faszination leben, ohne jedem Trend nachlaufen zu müssen. Denn mittlerweile bieten die Strukturen in der Technoszene wieder Nischen, in denen es sich gut einrichten lässt. Es gibt wieder einen Bedarf für neue Ideen und kulturelle Inhalte.

"Techno ist ja schon immer ein multimediales Konzept gewesen. Es gab und gibt Visual Artists, die das Ganze mitprägen", sagt Karina. Kunst in Verbindung mit Musik - das sei damals ihr erstes Anliegen gewesen, als sich die stampfenden Beats in das Gehör eines jungen Publikums einschlichen. Kunst hatte sie auch in Erfurt begonnen zu studieren, bevor sie kurz nach dem Fall der Mauer nach Berlin ging. Und um künstlerische Betätigung, um neuartige Prozesse in der Szene, ging es ihr auch in der Hauptstadt. Karina besetzte mit anderen die Ruine, aus der kurze Zeit später das Tacheles hervorging. Inmitten der heruntergekommenen Spandauer Vorstadt organisierte sie die ersten Clubabende mit Bands und DJs, bevor House und Techno salonfähig wurden.

Dieses Wuseln, Aufbauen und Kunstproduzieren im Tacheles, "mit unglaublich vielen Möglichkeiten der Präsentation", hatte Karina bis zu dem Zeitpunkt fasziniert, als ein wenig von der Utopie des Ganzen verloren ging. Die darauffolgenden Jahre im Tresor, "mit einem ersten tiefen Einblick in die Formen der elektronischen Musik", bedeuteten hingegen einen Lebensabschnitt, in dem diese dauerhafte Faszination zum Techno entstand. Über die Veranstaltung der ersten größeren Partys habe sie das Gespür für diese Dinge bekommen, sagt Karina. Sie reiste nach Detroit, besuchte die kommenden Stars der Szene und holte sie für erste Auftritte nach Berlin. Bis heute sind die Kontakte nicht abgerissen.

Zusammen mit Dirk und Till Mields gründete sie dann vor vier Jahren die Veranstaltungsagentur "No Ufos". Die Idee war, in Berlin spannende Orte aufzuspüren, die in der Öffentlichkeit fast in Vergessenheit geraten sind. "Für eine junge Szene wollten wir in Off-Locations Partys veranstalten, die noch den Charme des Provisorischen hatten," sagt Dirk. Ob im Spreespeicher, im Dresdner Bahnhof, auf dem Kulturforum - unter oft schwierigen finanziellen Bedingungen habe man dort für ein Wochenende Programm gemacht. Dirk wurde dabei endgültig vom Technovirus infiziert. Wenn er die Partys Revue passieren lässt, funkeln noch seine Augen, als sei gerade der erste Gig gelaufen.

Mit dem eigenen Unternehmen ist man mittlerweile ganz vorne mit dabei. Für die drei Clubbetreiber und Veranstalter wurde aus den ersten Experimenten in einer entstehenden Szene auch ein harter Arbeitstag, in ihren Büroräumen mit bestem Ausblick auf die östliche City. Im ehemaligen Haus des Reisens hat "No-Ufos" seinen Sitz. Das "Sternradio" hat sich dreizehn Etagen tiefer im Erdgeschoss eingenistet. Dort hat man nunmehr seit anderthalb Jahren eine feste Heimat für den eigenen Technosound gefunden, nach einer langen Odyssee durch Ämter und Immobilienbüros. "Es ist eine Homebase für die DJs geworden, mit denen man bereits jahrelang zusammenarbeitet", sagt Karina. Das Ganze bietet den Rahmen, all die neuen Aspekte der Szene abzutasten.

Wenn sich jetzt an drei Tagen in der Woche die Pforten zum "Sternradio" öffnen, das mit seinem glamourösen Neo-Pop-Ambiente die düstere Kelleratmosphäre vergangener Tage abgelöst hat, steckt dort vor allem viel Organisationstalent drin. Dabei ist der Kampf mit den Behörden genauso aufwendig wie die Entwicklung des eigenen Konzepts. "Irgendwann lassen sich auch ganz harte Nüsse in den Ämtern knacken, das ist jedoch oftmals kostspielig", sagt Karina. Sie würden dort gemustert wie Störenfriede, wie eigentümliche Macher in einer entfernten Jugendkultur. Und dabei nutze man doch Objekte, mit denen keiner mehr etwas anzufangen weiß, müsse dort enorm viel Geld reinstecken und andererseits mit kurzen Kündigungsfristen und zeitlich begrenzten Konzessionen leben. So steht das mögliche Aus immer im Raum. Aber das Damoklesschwert gehört mittlerweile zum Leben dazu, sagt Karina Mertin - wie der Techno.

Henning Kraudzun

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