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Berlin: „Der Terror beleidigt unseren Koran“

Berliner Moscheevereine möchten enger mit der Polizei zusammenarbeiten

Selbst die muslimischen Vereine in Berlin glauben: Auch hier könnten Anschläge wie in London stattfinden. Sie fordern deshalb Politiker und Polizei auf, stärker mit ihnen zusammenzuarbeiten. „Wenn wir die Menschen gemeinsam aufklären, können wir mehr Sicherheit erreichen“, sagt Chaban Salih, Geschäftsführer von Inssan, einem Verein für „kulturelle Interaktion“ in Kreuzberg.

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ist für solche Forderungen offen. „Wir müssen den Krieg in den Köpfen gewinnen“, sagt er und besucht in diesen Sommermonaten Moscheevereine, wann immer der Dienstkalender Luft lässt. Nur indem man miteinander rede und sich informiere, könne man den Nährboden für den Terror austrocknen, sagt Körting. Dabei gehe es auch um die Frage, wie man eine Art „Frühwarnsystem“ entwickeln könne, so dass beispielsweise Moscheevorstände mit der Polizei zusammenarbeiten, wenn sie von Extremisten in ihrer Gemeinde erfahren.

Ein Rundgang durch türkische, arabische, pakistanische und bosnische Moscheevereine zeigt: Muslimische Organisationen in Berlin, liberale wie konservative, sind schockiert über die Bombenleger. „Wer so etwas tut, ist kein Muslim, sondern jemand, der den Islam missbraucht“, sagen die Imame. Sie predigen ihren Gemeinden, dass Anschläge und Selbstmordattentate eine „Beleidigung für den Koran“ sind und den Muslimen am meisten schaden.

„Solche Attentate können uns doch genauso treffen, außerdem werden wir nach jedem Anschlag nur noch weiter an den Rand gedrängt“, sagt Mohammad Abdul Razzaque, ein bärtiger, etwas fülliger Inder, der seit 1974 in Berlin lebt. Er ist Vereinsvorsitzender der Weddinger Bilal-Moschee, in die vor allem Pakistani kommen. Die Moschee wurde in den vergangenen Jahren immer wieder verdächtigt, dem pakistanischen Prediger Maududi nahe zu stehen, einem 1979 gestorbenen, geistigen Nachfolger der Muslimbruderschaft. Diese verfolgt nach Erkenntnissen der Verfassungsschützer eine Gesellschaftsordnung, die nicht mit unserer Verfassung zu vereinbaren ist. „Ja, Maududis Bücher stehen bei uns im Regal, er war ein großer Gelehrter“, sagt Razzaque. „Aber wir leben hier in Europa, seine Ziele waren für Indien gedacht.“ Der Vorsitzende des Moscheevereins ist wie viele andere empört über die Extremisten, die den Islam für Terror missbrauchen, aber auch darüber, dass die westlichen Gesellschaften hinter jedem orthodoxen Prediger und jedem, der ein Buch eines Islamisten im Regal stehen hat, gleich einen Fall für den Verfassungsschutz sehen.

„Dass hier nicht differenziert wird, spielt den Extremisten in die Hände“, sagt auch Inssan-Geschäftsführer Chaban Salih, „die wollen uns Europäer doch spalten in Wir und Ihr.“ Der 29-Jährige spricht ebenfalls perfektes Deutsch, trägt Jeans, T-Shirt und modische Turnschuhe. Auch sein Verein wurde 2004 verdächtigt, Beziehungen zur Muslimbruderschaft zu haben. Der Verein hat den Vorwurf zurückgewiesen und immer wieder betont, dass er für Gewaltlosigkeit und Integration eintritt. Zusammen mit Vertretern anderer Religionen organisierte Inssan eine Woche nach den Londoner Anschlägen ein Friedensgebet in der britischen Botschaft.

„Die Terroristen haben mein Leben in Europa sehr erschwert“, sagt Sabina Pasalic, eine junge, Kopftuch tragende Muslima aus Bosnien, „das verzeihe ich ihnen nie.“ Ihre Stimme bebt, sie ist wütend. „Die Anschläge führen dazu, dass es immer schwerer wird, sich irgendwo heimisch zu fühlen“, sagt ein bosnischer Student. Er spricht perfekt Deutsch, studiert an der TU und ist auf gutem Weg, sich eine Zukunft in Deutschland aufzubauen. Genau das werde ihm jetzt zum Vorwurf gemacht: „Jetzt schauen mich alle misstrauisch an. In der U-Bahn weichen die Leute vor meinem Rucksack zurück.“

Viele Jugendliche seien orientierungslos, sagt Raed Zaloum vom islamischen Kultur- und Erziehungszentrum in der Finowstraße, wo sich viele Palästinenser versammeln. Er versuche, ihnen klar zu machen, dass Deutschland eine Leistungsgesellschaft sei und man hier etwas erreichen kann. Er selbst arbeitet als Ingenieur. Die Überzeugungsarbeit sei ein langer Prozess, er wünscht sich mehr staatliche Unterstützung. „Wer immer nur ein Visum für ein halbes Jahr bekommt, hat keinen Impuls, Deutsch zu lernen und sich anzustrengen.“ Andererseits sei es ein Fehler gewesen, dass Immigranten bisher gedrängt wurden, Deutsch zu lernen.

Auf der Suche danach, was in den Köpfen der Attentäter vor sich gegangen sein mag, sagt Inssan-Geschäftsführer Salih: „Viele haben das Gefühl, der Westen prügele ständig auf ihre Religion ein und somit auf das, was ihnen am heiligsten ist. Irgendwann kann das explodieren.“ Der Koran sei nicht irgendetwas für die Muslime, sondern die Wahrheit und das verbindende Element zwischen allen weltweit, sagt Advan Ljevakovi, Imam der bosnischen Gemeinde. Wenn der Koran im irakischen Gefängnis Abu Ghraib geschändet werde, treffe das auch Muslime in Berlin. Manche Imame in Berlin hätten geweint, als sie davon erfuhren. „Uns ist es eben nicht egal, wenn der Koran verunglimpft wird“, versucht Ljevakovic zu erklären. Viele seien auch gekränkt, weil der Islam in Europa mit anderen Maßstäben gemessen werde als andere Religionen. „Wenn ein orthodoxer Priester die Waffen segnet, mit denen die Serben in Srebrenica die Muslime abgeschlachtet haben, dann muss sich die orthodoxe Kirche nicht rechtfertigen.“ Wohl aber müssten die Muslime sich erklären, wenn irgendwo ein Muslim den Islam missbrauche. Das sei doch wirklich nicht gerecht.

Chaban Salih findet gespenstisch, dass „Muslime wohl mehr als andere zu Verschwörungstheorien“ neigen. Zum Beispiel der türkische Bäcker um die Ecke, der seinen Namen nicht nennen will. Er schimpft auf den israelischen Geheimdienst Mossad und die CIA. Sie würden unschuldige Muslime benutzen und zu den Anschlägen anstiften.

Um Verschwörungstheorien keinen Raum zu geben, veranstalten immer mehr Moscheen Vorträge, Seminare und Workshops zum Verhältnis der Weltreligionen untereinander und zum Thema „Islam und Demokratie“. Allerdings, sagt Salih, kommen da oft nur wenige. Und darunter solche, die fragen: „Wie könnt ihr das nur vereinbaren?“ Er schätzt, dass es Leute mit radikalen Ansichten in allen größeren Organisationen gibt, was aber nicht heiße, dass alle gewalttätig seien.

Mehmet Dincoglu, Vereinsvorsitzender der türkischen Haci-Bayram-Moschee in Wedding, glaubt allerdings, dass der Einfluss der Moscheen auf die Radikalen überschätzt werde. „Wer mit dem Gedanken an die Gewalt spielt, kommt nicht zu unserem Freitagsgebet. Dann wüsste er ja, dass das, was er vorhat, nicht mit dem Islam zu vereinbaren ist.“ Viele Gemeinden hätten kaum Zugriff auf die unter 30-Jährigen. Das sei ein Problem. Dann fragt er zurück: „Warum müssen wir uns immer rechtfertigen?“ Wenn die IRA einen Anschlag verübt, müssten sich deutsche Katholiken auch nicht erklären. „Und wenn muslimische Vereine nicht gleich Pressemeldungen herausgeben und einen Anschlag verurteilen“, so Mehmet Dincoglu, „dann heißt das doch nicht gleich, dass sie damit sympathisieren.“ Viele hätten einfach kein Faxgerät.

Claudia Keller

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