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Zugehört. Mit der Polizeireform hat sich SPD-Innenminister Woidke Respekt verschafft. Foto: dapd/Klaus-Dietmar Gabbert

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Berlin: Der Überraschungskandidat

Als Dietmar Woidke im vorigen Herbst Innenminister wurde, galt der SPD-Politiker als Notbesetzung Doch der 49-Jährige hat sich mittlerweile erstaunlich profiliert. Wird er einmal Platzecks Nachfolger?

Potsdam - Von der Hiobsbotschaft ahnt Dietmar Woidke, 49 Jahre, Brandenburgs Innenminister in diesem Augenblick noch nichts. Gerade hat er im Innenausschuss seine Entscheidung zur Polizeireform verkündet. Klar, es gibt wieder Kritik, dass er am Abbau von 1900 Stellen bis zum Jahr 2020 festhält, den er von seinem Vorgänger Rainer Speer erbte. Aber wie bei den Auftritten an den Tagen zuvor in Frankfurt (Oder), Cottbus, der Stadt Brandenburg und Neuruppin, wo er bei Polizeiführern und Bürgermeistern noch einmal Widerstände auslotete, bleibt der Aufschrei aus. Er ist erleichtert, wie er später gesteht. „Ich habe mich still ein bisschen gefreut. Meine Ochsentour hat sich wohl ausgezahlt.“

Ja, man zollt ihm Respekt, dass er nach unzähligen Terminen landauf und landab Bedenken aufgriff, die Pläne teilweise korrigierte. Dass er mehr Polizeireviere und Revierpolizisten übers flache Land verteilt, dass er die Uckermark wegen traditioneller Bindungen am Ende doch der Grenz-Polizeidirektion für die Oderregion unterstellt, selbst wenn die Verwaltungskarte nun nicht mehr gleichmäßig aussieht und die Justiz rebelliert. Hans- Peter Goetz von der FDP-Opposition rutscht sogar ein Lob heraus: „Ich habe Sie jetzt fast ein bisschen lieb!“

Freilich, die leise Genugtuung währt kurz. Nach der Sitzung erfährt er, dass sich der Stasi-Bundesbeauftragte Roland Jahn festlegt: Eine Stasi-Überprüfung von 66 Polizeiführern, die Woidke nach der Serie von Stasi-Enthüllungen beantragt hat, lasse das geltende Bundesgesetz nicht zu. Das Veto ist eine Katastrophe für den Minister, der wegen der Polizeireform überall Führungsposten neu besetzen muss. „Ich brauche Gewissheit, dass nicht ständig neue Minen hochgehen.“

Trotzdem kann Woidke so schnell nichts erschüttern.Gerade mal ein halbes Jahr ist er nun Innenminister, zuständig für Kommunen, Polizei, Verfassungsschutz, Feuerwehr. Dass er im Drama um Polizeireform und Stasi so schnell Tritt fasste, Profil und Statur gewann, hätten ihm selbst Genossen nicht zugetraut. Als im September 2010 Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) nach dem Affären-Rücktritt von Rainer Speer ausgerechnet den damaligen Chef der Landtagsfraktion überraschend zum Nachfolger machte, galt es eher als Notlösung. „Ahnungslose Neubesetzung“, höhnte die CDU. Neuland für Woidke war es allemal, der vor 1989 an der Humboldt-Universität Landwirtschaft und Ernährungsphysiologie studiert hatte, von 2004 Agrar- und Umweltminister war, bei der rot-roten Regierungsbildung 2009 seinen Kabinettsposten verlor. Der bodenständige Lausitzer, dem intellektuell-ideologischer Parteikauderwelsch ein Gräuel ist, der Rot-Rot anfangs kritisch gegenüberstand, dann aber als Chef der Fraktion loyal die Reihen zusammenhielt, hatte nie zum engen SPD-Zirkel um Platzeck gehört. Seine Blitz-Karriere zeigt, wie viel im einst beschaulichen Brandenburg in Bewegung geraten ist.

Und Woidke macht es offensichtlich Spaß, Pflöcke einzuschlagen, auf seine ruhige Art. Als er startete, war das Land in Aufruhr, hatte eine Volksinitiative 90 000 Unterschriften gegen das „Wachensterben“ gesammelt. Also tourte er durch Rathäuser und Dienststellen, nahm sich Zeit, hörte zu, besserte nach, und schloss tatsächlich das „kommunikative Loch“, das sein eher dekretierender, ruppiger Vorgänger gerissen hatte. Nie würde Woidke, seit 1994 im Landtag, parallel lange Stadtverordneter in Forst, Abgeordneter im Kreistag Spree-Neiße, sich im Ton vergreifen. Aber anders als der liberal eingestellte Speer, der auch die „Bürger vor dem Staat schützen“ wollte, setzt er pragmatisch auf Videoüberwachung, auf verdachtsunabhängige Kontrollen, was in der Polizei und im Lande eher ankommt. Am meisten aber fällt auf, sagt ein Mitstreiter, „wie verbindlich“ er geworden sei, wie er auf Tempo drücke, nicht zaudere. Als Agrar- und Umweltminister war das noch anders, galt er eher als blasser Chef, dem die grüne Klientel auf der Nase herumtanzte. Brandenburgs ewige Forstreform, die bis heute nicht vorangeht, bekam er nicht in den Griff. Er hatte sie zu lange schleifen lassen. Nein, diesen Fehler wiederholt er nicht.

Und so will sich Woidke auch beim Umgang mit dem Stasi-Erbe trotz des Vetos nicht beirren lassen. Er ist enttäuscht, er hätte sich „mehr Mut von Jahn“ gewünscht, es eben auf eine gerichtliche Klärung ankommen zu lassen, sagt er. Er erzählt von seiner Sorge, dass Polizeiführer mit verheimlichter Stasi-Vita erpressbar seien. Also bereitet er einen „Plan B“ vor, um über strenge Sicherheitsüberprüfungen das Risiko von Fehlbesetzungen zu verringern. Es klingt bestimmt.

Schwimmt sich da gerade einer frei, der Platzeck einmal beerben könnte? Dieser regiert seit dem Jahr 2002, will 2014 noch einmal antreten, und ist doch so gestrickt, wie einst Manfred Stolpe rechtzeitig die Nachfolge zu klären. Viele, die infrage kämen, gibt es in der Landes-SPD nicht. Genau genommen, mit ähnlich breiter Führungserfahrung gibt es momentan eigentlich niemanden außer Woidke, diesen weniger charismatischen, aber soliden, ernsthaften Typen, der zu Land und Leuten passt. Vor ein paar Tagen, in der Stadt Brandenburg, da ließ er sich nach einer Veranstaltung zur Polizeireform durch die St.-Gotthardt-Kirche führen. Er fachsimpelte mit der Pfarrerin, entzifferte lateinische Formeln, erzählte aus seiner Jugend an der Ost-Berliner Studentengemeinde, einer, der in sich ruht. Platzeck lag mit Personalien zuletzt öfter daneben. Mit der Wahl Woidkes sei er, sagt einer, der es weiß, sehr zufrieden. Neulich soll ein aufschlussreicher Satz gefallen sein. „Das kann auch perspektivisch etwas werden.“ Passen würde es.

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