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Berlin: Der verdoppelte Christus

Bei Kriegsende war das Gemälde „Nazareth“ aus dem Kaiserlichen Treppenhaus des Doms verschwunden 1988 wurde es durch eine Kopie ersetzt. Das Original überdauerte die Jahre gleich nebenan.

Es ist nicht überliefert, ob sich Kaiser Wilhelm II. bei winterlichen Kirchgängen zum Berliner Dom je kalte Füße geholt hat, aber dank einer Fußbodenheizung in seiner Loge war für solche Notfälle gesorgt. Auch der Weg zu dem Ehrenplatz war angenehm. Sogar einen Aufzug aus den USA hatte man ihm in das am 27. Februar 1905 eingeweihte Gotteshaus eingebaut, aber erhebender war der Gang durchs „Kaiserliche Treppenhaus“, eine Pracht in Marmor und Gold, vorbei am Gemäldezyklus „Christuslegende“ des Berliner Künstlers Albert Hertel.

Fünf der 13 Bilder gingen in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verloren und wurden später durch Kopien ersetzt, darunter „Nazareth – die Jugendzeit Jesu“ am Kopf der Treppe. Jahrzehntelang hatte es als verschollen gegolten – und lag praktisch um die Ecke im Depot der Alten Nationalgalerie. Am Montag wurden beide Gemälde im Treppenhaus gemeinsam präsentiert – eine nur kurze Zusammenführung: Die Kopie bleibt hängen, das Original wandert ins Dommuseum.

Den Zyklus hatte Albert Hertel eigens fürs Treppenhaus geschaffen, der Kaiserselbst hatte die Entwürfe abgesegnet. Die Umstände, unter denen „Nazareth“, ein etwa zwei mal drei Meter großes Werk, verschwand, sind unklar. Knickspuren lassen vermuten, dass es bei Kriegsende gestohlen wurde, sagte die Leiterin der Alten Nationalgalerie, Angelika Wesenberg. In ihrem Haus war es als nicht zuzuordnender Fremdbesitz erfasst, wie es ins Haus gekommen war und worum es sich genau handelte, wusste niemand. Doch seit 2001 hatte das Museum einen Katalog für solchen Fremdbesitz, rund 400 Skulpturen und über 200 Bilder sind darin erfasst. Den bekam im Vorjahr Gerd Bartoschek, ehemaliger Kustos der Schlösser und Gärten in Sanssouci, in die Finger – und entdeckte darin das ihm vertraute Bild „Nazareth“.

Für die Leitung der Nationalgalerie war es selbstverständlich, das Bild zurückzugeben. Der erste Besuch im Treppenhaus sei dann aber schon eine Überraschung gewesen, sagte die Museumschefin: „Um Gottes willen, da hängt es ja schon.“ Allerdings nur als Kopie. Beim Wiederaufbau des Domes hatte der Brandenburger Restaurator und Maler Ekkehard Koch gemeinsam mit Kollegen Kopien der fehlenden Treppenhaus-Bilder angefertigt, darunter auch „Nazareth“, gemeinsam mit Perette Manz-Hendrich. Nur ein Schwarz-Weiß-Foto und eine kleine Farbstudie Hertels lagen ihnen vor, Details waren oft nicht zu erkennen. Waren das nun Steine oder Vögel auf der Straße, über die der künftige Erlöser wandelt – eine kaum zu beantwortende Frage. Sie entschieden sich für Vögel – und es war richtig, wie sich jetzt zeigte. Zwar fallen die beiden Gemälde nicht völlig auseinander, aber es sind schon „zwei unterschiedliche Bilder, mit ganz anderer Stimmung“ entstanden, wie Koch sich eingestehen muss. Die Kopie geht ins Bräunliche, der Himmel ist dramatischer bewölkt. Im Original dominiert Blaugrau.

Hertels Werk hatte die Kriegswirren halbwegs intakt überstanden, nur an den Knickstellen war Farbe abgeblättert. Erneut war Koch, diesmal gemeinsam mit seinem Kollegen Bernd Bünsche, mit der Restaurierung betraut worden, die Kosten von 15 000 Euro spendete der Dombauverein. Wie einst das Original hatte man 1988 auch die Kopie tapetengleich an die Treppenhauswand geklebt, bei einem Austausch der Werke wäre sie zerstört worden, wie Irmgard Schwaetzer, Vorsitzende des Domkirchenkollegiums sagte. Das kam nicht infrage, schließlich ist auch die Kopie mittlerweile Teil der Domgeschichte. Und so gibt es „Nazareth“ künftig eben doppelt, wie so vieles in Berlin.

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