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Die Installation „Transit“ erzählt die Geschichte zweier Durchreisender aus einer besseren Welt.

© David von Becker

Der Zukunft auf der Spur: Das hat es mit der Raumschiff-Installation vorm Berliner Futurium auf sich

Gestrandet mit Spreeblick: Vor dem Berliner Futurium erzählt eine Kunst-Installation die Geschichte zweier Durchreisender aus einer alternativen Gesellschaft.

Sonderbar steht es da, umgeben von gläserner Architektur, Bau- und Verkehrslärm, auf dem Vorplatz des Futuriums, dem interaktiven Ausstellungshaus am Alexanderufer in Berlin: Ein metallenes Vehikel, entfernt an einen Nasa-Mondlander erinnernd, das nicht so recht in seine Umgebung passen will. Am 13. April sei es aus heiterem Himmel aufgetaucht, berichteten verdutzte Zeug:innen, und weil niemand das fremde Ding so recht einzuordnen wusste, habe man es erstmal eingezäunt.

Zur Überraschung der Futurium-Mitarbeiter:innen seien bald zwei Menschen daraus entstiegen, die nicht nur selbst verwirrt schienen, sondern noch verwirrendere Angaben machten: Sie wüssten gar nicht, wie sie hierher gekommen seien.

Das Ganze ist natürlich eine Kunst-Installation, ein sogenannter Narrative Space, also erzählender Raum. Er erzählt die Geschichte zweier Gestrandeter aus einer alternativen Gesellschaft: Die sprechen zwar fließend Deutsch – auf die Frage aber, aus welchem Land sie kommen, antworten die beiden, dass sie das Konzept Staat nur aus historischen Büchern kennen und dass sie auf ihrer Reise zwar so manche Raumgrenze überquert hätten, mit Sicherheit aber keine Staatsgrenze.

Dass weder Ausweisdokumente noch Zulassungspapiere für das Gefährt gesichert werden konnten, erschwere den hiesigen Behörden die Einordnung des Falls. Die Passagiere gelten daher bis auf Weiteres als staatenlos. Rund um ihr mysteriöses Vehikel wurde ein provisorischer Transitbereich eingerichtet, innerhalb dessen sich die beiden frei bewegen könnten, ohne gegen behördliche Auflagen zu verstoßen.

All das erzählt die Installation mithilfe von Videos, eingespieltem Klang und im Innern des Gefährts arrangierten Spuren der Reise, die die beiden Protagonist:innen hinter sich haben. Als Besucher:in bewegt man sich durch die Räume und verknüpft die Fundstücke zu einem großen Ganzen. Man stelle sich vor, man betritt ein Wohnmobil, das unmittelbar nach dem Urlaub verlassen und noch nicht aufgeräumt wurde, so in etwa fühlt sich der Besuch der Installation an.

Das Interieur erinnert nicht an ein Raumschiff.
Das Interieur erinnert nicht an ein Raumschiff.

© David von Becker

Ava und Shevek, wie sich die Fremden aus der Erzählung nennen, geben im Videointerview an, dass sie aus einer Gesellschaft der „Vielheiten“ stammen. Das seien Gruppen von etwa 800 Menschen, die sich weitgehend selbständig organisierten und in Prozessen einer „flüssigen Demokratie“ übergeordnete Institutionen schafften. Sie äußern den Verdacht, dass etwas mit der Zeit nicht stimmen könne, sprechen von einer „Dischronie“ und „Atopie“.

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Dass sie sich mitunter recht wissenschaftlich ausdrücken, liegt daran, dass sie laut eigener Angabe Wissenschaftler:innen sind, Physikerin und Chemiker. Einerseits, wundern sie sich, hätten sie in den wenigen Tagen in unserer Welt mitbekommen, dass wir sehr viel über den verheerenden Zustand unseres Planeten wüssten und längst über die Kenntnisse und Technologien verfügten, seine Zerstörung aufzuhalten, es aber nicht täten – es könne doch nicht sein, dass unser Verhalten unserem Wissen dermaßen hinterher hinke.

Eine Welt ohne Müll

In ihrer Welt gäbe es zum Beispiel längst keinen Müll mehr, sondern eine weit entwickelte Kreislaufwirtschaft, in der alles so produziert würde, dass es am Ende seines Lebenszyklus wieder in Rohstoffe zerlegt werden könne, die gänzlich wieder in die Produktion flössen. Das ginge doch auch hier. „Wir wissen, wie es aussieht, wenn planetare Belastungsgrenzen überschritten werden. Und wir wollen das nie mehr erleben“, sagt Shevek. Ava und Shevek empfinden Ländergrenzen, die Ungleichverteilung materieller Güter, sowie unsere Vorstellungen von Eigentum als archaisch. Offenbar müsse es hier etwas geben, das die Vermittlung zwischen Wissen und Handeln verhindere.

Vielleicht, das ist an dieser Stelle nur Spekulation, ist es dieselbe Kraft, die die beiden hier hat stranden lassen. Eigentlich sollte ihr Vehikel nämlich autonom weiterfahren, plötzlich hätten aber Antrieb und Navigation versagt und sie seien am Alexanderufer 2 zum Stehen gekommen. „Wir haben uns irgendetwas eingefangen“, erzählt Shevek, „das bei Berührung alles lähmt.“ Von einer beängstigenden Taubheit spricht Ava. Gemeint ist eine mysteriöse graue Masse, die den Boden des Fahrzeugs mit dem Vorplatz des Futurium verbindet und laut Beobachter:innen weiter wächst und wuchert. Als während des Interviews dem Anschein nach ein Funksignal aus dem Nebenraum ertönt, brechen die zwei plötzlich ab.

Die Hoffnung, in weiteren Gesprächen mehr über die beiden und ihre Welt herauszufinden, scheitert anschließend daran, dass sie vom Gelände verschwinden. Seitdem wird nach ihnen gefahndet – und das mit mäßigen Aussichten. Denn Fotos ihrer Gesichter hat man zu machen versäumt und im Video tragen sie Masken. Die Behörden tappten im Dunkeln, heißt es von offizieller Stelle. Sollten sie nicht mithilfe höherer Technologie aus unserer Welt geholt worden sein, wäre es denkbar, dass Ava und Shevek, nach Kontaminierung durch die graue Masse, schon bald in hiesigen Shoppingcentern anzutreffen sind.

Mona el Gammal.
Mona el Gammal.

© Thomas Fisch

Die Installation namens „Transit“ ist eine Arbeit der Szenografin Mona el Gammal in Zusammenarbeit mit Autor Evol M. Puts. Wie der Transit nur einen vorübergehenden Zustand beschreibt, äußern die beiden den Wunsch, dass auch die Gegenwart angesichts ihrer vielfältigen Dringlichkeiten möglichst schnell überwunden werde. „Überall hört man derzeit, im Lockdown, Stimmen, die eine schnelle Rückkehr zur Normalität fordern“, sagt el Gammal.

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„Nur, was genau bedeutet normal? Wir haben das Wissen um die Dringlichkeit der Klimakrise und auch die Technologie, um zu handeln. Dennoch schieben wir Lösungen immer weiter vor uns her und reagieren bloß, statt, wie es nötig wäre, proaktiv zu handeln. Dabei merken wir jetzt gerade, durch die Pandemie, dass die Politik durchaus handlungsfähig ist und in kurzer Zeit Prämissen wechseln kann.“ Die Installation, so Puts, solle sowohl die Dringlichkeit als auch die Möglichkeit fühlbar machen.

Gebrauchte Holzmöbel statt High/Tech

Das Vehikel eröffnet beim Durchschreiten Assoziationsräume, die man beim Blick von außen nicht unbedingt erwartet. So findet sich, anders als in üblichen Raumschifffantasien, viel Holz, gebrauchtes Mobiliar. Abgenutzte Arbeitsplatzleuchten im Industriedesign erinnern an Einrichtungsträume aus vergangenen Zeiten und lassen vielleicht an reparierbare und entsprechend nachhaltige Produktionsweisen denken. In Hydrokulturen schwebende Pflanzen, Laboreinrichtung.

Retroutopismus und ein Hauch Steampunk statt High-Tech-Science-Fiction. Die Literatur, die vielen der Überlegungen hier zugrunde zu liegen scheint, etwa Deleuze & Guattari und Paul B. Preciado oder Kafkas absurde Bürokratie, bildet einen Teil der Objekte im Innern des Vehikels. Aus Funkgeräten ertönen die Funksprüche der vermeintlichen Passagiere und aus versteckten Lautsprechern geflüsterte, scheinbar innere Stimmen.

Übrigens: Da laut Museum von den zwei Reisenden bekannt ist, dass sie ihr Fahrzeug als öffentliches Eigentum betrachten und sie bis auf Weiteres verschollen seien, habe die Leitung des Futurium nach eingehender rechtlicher Beratung beschlossen, das Objekt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wie sein Auftauchen oder die Zukunft des Planeten, steht auch dessen Eröffnung noch in den Sternen – aus Gründen des Infektionsschutzes. Wann es soweit sein wird, erfahren Sie unter futurium.de.

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