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Die Viktoria mit der Union-Mannschaft auf der Spree in Richtung Köpenick.

© imago images / Bernd König

Derby zwischen Hertha und Union: Wenn Fans rivalisierender Clubs gemeinsam Boot fahren

Ein Fanclub bringt Anhänger der beiden Berliner Vereine zusammen. Zum Lokalderby zwischen Hertha und Union hat man etwas Besonderes geplant.

Um 14 Uhr wird Olaf Forner an diesem Sonnabend wieder die rot-weiße „Viktoria“ von Mitte zur Alten Försterei losschicken, wie vor vielen Union-Spielen. Aber diesmal stimmen sich neben den Eisernen auch Blau-Weiße auf das Fußballspiel am Abend ein. 95 Gäste erwartet Forner, viele von ihnen vom Verein „Hertha-Union-Freunde“. Forner – blondes Haar, hellblaue Augen – lächelt: „Das sind Familien und Gruppen“, sagt er, „da frage ich nicht, wer Hertha und wer Union unterstützt.“

Sie unterstützt die Hertha, er geht zu Union

Etwa 2000 Fans hat die Facebook-Gruppe „Hertha-Union-Freunde“, die Jörg Schmitt und seine Frau Tanja 2012 gründeten. Sie hat eine Dauerkarte für Hertha, er für Union. 2013 wurde die Gruppe zum eingetragenen Verein und offiziellen Fanclub von Hertha und Union. Forner ist seit drei Jahren dabei. Zum vorigen Derby 2013 trafen sich die Freunde mit etwa 50 Leuten vor der Weltzeituhr am Alex und fuhren gemeinsam zum Olympiastadion. Jetzt wollte der Verein wieder etwas Besonderes auf die Beine stellen und Forner lud zur Dampferfahrt ein.

In der Facebook-Gruppe besprechen die Fans die Spiele beider Teams, sie spielen zusammen in einer Freizeit-Fußballmannschaft. Ein Aufnäher von Hertha-Legende Peter „Pepe“ Mager, der ab 1963 Fanartikel verkaufte, war der Auslöser für die Clubgründung. Magers Aufnäher stellt die alte Freundschaft zwischen beiden Vereinen dar, die besonders zu Mauerzeiten hochgehalten wurde.

30 Jahre nach dem Mauerfall bietet der Verein jetzt eine Gemeinschaft für all die, die in ihren Familien Hertha- und Unionfans haben, oder wie Forner für beide Vereine das Trikot tragen. Zum Gespräch hat er das langärmelige schwarze von Union unter das blaue Hertha-Trikot gezogen. Beide Vereine prägten fast sein ganzes Leben. Forner ist heute 54 Jahre alt. 1973, mit acht Jahren wurde er Hertha-Fan, das kam vom Opa.

„Zu Hause war Ostfernsehen verboten“

Forner wuchs in Weißensee und Mahlsdorf auf, in einer westfreundlichen Familie. „Zu Hause war Ostfernsehen verboten.“ Seine Mutter und sein Opa hatten bis zum Mauerbau im Westen gearbeitet, doch sie hatten Grundstücke im Osten und blieben so nach 1961 dort. Über die Hertha-Spiele informierte man sich aus dem Radio und Fernsehen, manchmal brachte ihm die Oma einen „Kicker“ aus dem Westen mit. Mit 16 Jahren, 1981, war er zum ersten Mal bei Union, damals im Stadion der Weltjugend.

Union-Fan, Olaf Forner, heute mal in beiden Trikots.
Union-Fan, Olaf Forner, heute mal in beiden Trikots.

© Stefan Weger

Im Oktober dann das erste Spiel in der Alten Försterei: Als Hertha-Fan achteten ihn die Eisernen besonders. Widerstand war das damals, sagt Forner, unterstützt von den 50 bis 100 Hertha-Fans aus West-Berlin, die regelmäßig zu Union-Spielen rüberkamen.

Bei Union ist er 38 Jahre später noch viel mehr als ein Fan. Im Alltag arbeitet er als Behindertenassistent, aber daneben unterliegt ihm die Logistik der Union-Programmhefte. Bis zu 2500 werden vor jedem Union-Spiel verkauft. In die Rolle ist er reingewachsen. Seit zwölf Jahren verkauft er zudem drei Abende in der Woche Berliner Tageszeitungen in Kneipen, in Prenzlauer Berg und Mitte.

Mit Union aus der Regional- bis in die Bundesliga

Bis zum Aufstieg gab es bei Forners Kneipentouren auch Union-Tickets. Er fing damit an, als Union in der Regionalliga war, mit Zuschauerzahlen von 6000 bis 7000 Leuten in der Alten Försterei. Er beschreibt sich selbst als „lebende Werbetrommel“, zog durch Prenzlauer Berg auf der Suche nach Union-Fans und solchen, die es werden könnten. „Unioner sind ja missionarisch“, sagt er. Wenn er jemanden fand, der Interesse hatte, verkaufte er ihm die Karte sofort, „bevor der es sich anders überlegt“. Aber seit Union in der 1. Liga spielt, ist diese Zeit vorbei.

Kneipentouren macht Forner weiterhin. Nicht nur, um Zeitungen zu verkaufen, sondern auch, wenn er es nicht ins Stadion schafft. Dann zieht er rastlos durch die acht,neun Kneipen, die er mag, oder geht spazieren. Vor dem Fernseher kann er nicht ruhig sitzen bleiben. „Ich weiß, dass ich im Stadion das Spiel verändern kann.“ Da können die Fans auch mal den Ball über die Linie pusten.

Im Stadion fühlt er sich mächtig, vor dem Fernseher hilflos. Als Union 2007 in der 3. Liga das Spiel gegen Braunschweig unerwartet 5:3 gewann, wusste Forner im Stadion: Seine Mannschaft kann den Aufstieg schaffen. Bis zur 2. Bundesliga würde er sich nicht rasieren. Erst am Saisonende 2008/09 nach dem Spiel im Jahnsportpark kam der Bart endlich mit einem Einwegrasierer ab.

Berlin solle Fußballhauptstadt werden

Es gibt in Berlin immer weniger Fans wie Forner, deren Lebensgeschichte so mit beiden Vereinen verwoben ist. Forner hofft, dass das Derby „der Auftakt der fußballerischen Rückgewinnung dieser Stadt“ wird. Die Herthaner definierten sich über Spandau und die Unioner über Köpenick – „beide also gar nicht als Berliner”, sagt Forner.

Dabei seien beide am Ende Berliner Vereine. Berlin müsse auch zur Fußballhauptstadt werden. „Fußball gibt die Chance, eine Identität zu haben, ohne nationalistisch zu sein“, sagt Forner. Die Berliner sollten stolz sein auf ihre beiden Bundesligavereine. Sie sollen für „Fußball pur“ ins Stadion gehen, nicht um ein Event zu sehen. Ein richtig großes Spiel, ein Pokal-Halbfinale zwischen Hertha und Union oder gar ein Finale – „das wäre ein Traum“, sagt er.

Vom Stadtderby am Sonnabend wird Forner nicht viel sehen. Wenn das Schiff vom Weidendamm abgelegt hat, muss er schnell auf dem Landweg nach Köpenick. Ab 15 Uhr organisiert er dort den Verkauf der Programmhefte. „Wenn ich Glück habe, sehe ich 30 Minuten vom Spiel“, sagt er, hoch engagiert. Die Hertha-Union-Freunde ohne Tickets bleiben nach Anpfiff auf dem Schiff und erleben das Derby gemeinsam dort.

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