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Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen).

© dpa

Designierte Wirtschafts- und Energiesenatorin: Ramona Pop: "Schutz vor Straßenlärm ist eine Gerechtigkeitsfrage"

In Personalfragen ging es bei den Berliner Grünen drunter und drüber. Wie sieht es mit der Regierungsfähigkeit der Partei aus? Ramona Pop im Interview.

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Frau Pop, haben Sie Ihren Laden noch im Griff?

Ja. Es war noch nie anders, sonst säße ich nicht hier...

Und warum ging es dann drunter und drüber, als die Grünen einen Verkehrs- und Umweltsenator benennen sollten? Schließlich sind das doch grüne Kernthemen.

Die Mühe war eher, aus den vielen guten Kandidaten auszuwählen. Und natürlich wollten wir eine ausgewogene Mischung in unserem Senatsteam präsentieren. Die Vielfalt unserer Partei soll sich widerspiegeln – und Besetzungen aus der Gesellschaft sind eine gute Tradition bei uns Grünen. Auch Michaele Schreyer, die zu den grünen Urgesteinen zählte, kam 1989 als erste Umweltsenatorin von außen.

Hat Sie der linke Parteiflügel nicht vorgeführt, weil er Jens-Holger Kirchner als Verkehrssenator verhindert hat?

Es gab viele Spekulationen, die in der Zeitung standen.

In der „Lügenpresse“?

Es wird viel spekuliert, wenn es um Personalfragen geht. Manches davon stimmt, vieles bleibt am Ende aber Spekulation. Auf unserem Kleinen Parteitag am Donnerstag gab es viel Zustimmung für unseren Personalvorschlag und für die neue Verkehrssenatorin Regine Günther.

Frau Pop, es wäre ja auch möglich gewesen, statt Dirk Behrendt eine grüne Juristin zur Justizsenatorin zu machen. Dann wäre bei Beachtung aller Quoten und Parteiflügel der Weg für den gestandenen Verkehrsexperten und Kommunalpolitiker Kirchner frei gewesen.

Es sind ganz viele Modelle denkbar: auch, dass ich auf das Wirtschaftsressort verzichtet hätte und lieber Fraktionsvorsitzende geblieben wäre. Aber wir haben uns jetzt für dieses Tableau entschieden.

Ist der Eindruck nicht fatal, dass es wichtiger ist, alle Parteiflügel zu bedienen als ausgewiesene Kenner mit Senatsaufgaben zu betreuen?

Wo sehen Sie bei unserem Vorschlag etwa keine Kompetenz? Wenn man Ressorts zu besetzen hat, gibt es immer mehr Kandidaten als Plätze. So ist das im Leben.

Hat sich der grüne Landeschef Daniel Wesener eigentlich für seinen Lebensgefährten Dirk Behrendt als Senator stark gemacht?

Es gibt einen gemeinsamen Personalvorschlag der Partei- und Fraktionsspitze.

Was sagen Sie denn dazu, dass die grünen Senatoren kaum Verwaltungserfahrung haben nach langen Jahren in der Opposition? Ist das ein Nachteil für Sie in der Koalition?

Wir wollen gut starten und werden Verwaltungserfahrung einbinden in unser Team – besonders über die Staatssekretäre.

Auch Frau Günther muss Verwaltung noch lernen – und Verkehrspolitik.

Das Thema Umweltschutz ist ebenso wichtig für eine wachsende Stadt wie die Verkehrspolitik. Mit Frau Günther haben wir eine politikerfahrene, kommunikative Person, die sich um die ihr anvertrauten Politikfelder kompetent kümmern wird.

Der scheidende Verkehrssenator Andreas Geisel mahnt bereits, dass die Grünen die Autofahrer nicht vergessen sollen.

Dieser unerbetene Ratschlag entbehrt jeder Grundlage. Ein Blick in bestehende Investitionsplanungen reicht zur Wahrheitsfindung. Gestern hat die Grüne Jugend bemängelt, dass weiterhin überproportional mehr Geld für Autoverkehr als für Fahrradverkehr vorgesehen ist. Deswegen ist ein kluger Interessenausgleich aller Verkehrsteilnehmer gefragt. Bisher sind Radfahrer im Hintertreffen. Hier muss endlich in die Infrastruktur investiert werden – das ist dieser Regierung klar und auch den vielen Menschen, die für den Radentscheid unterschrieben haben.

Frau Pop, Sie selbst machen ab dem 8. Dezember für Berlin Wirtschafts-, aber auch Energiepolitik. Kommen Sie sich da nicht mit der Klimaschutzsenatorin Günther ins Gehege?

Es gibt zwischen beiden Ressorts viele Schnittstellen, die wir positiv zur Geltung bringen werden. Energiepolitik findet ja in Berlin faktisch nicht mehr statt, seitdem die Gas- und Stromversorger Gasag und Bewag in den neunziger Jahren privatisiert wurden. Da müssen wir in der Verwaltung Aufbauarbeit leisten, zumal Berlin wieder ein Stadtwerk hat, das wachsen, Ökostrom verkaufen und ein wichtiger Energie-Dienstleister werden soll. Das Klimaschutzressort wiederum hat die Aufgabe, die Ziele zu formulieren.

Ist das mehr als eine Politik für die ökobewussten Bewohner der Innenstadt, interessiert das die Menschen an der Peripherie?

Ich warne davor, Konfliktlinien zwischen denen, die in der Innenstadt wohnen, und denen „da draußen“ zu konstruieren. Die neue Regierung macht Politik für die ganze Stadt. Wohnungs- und Mietenpolitik, aber auch Klimaschutz sind nicht nur Themen für Mitte oder Schöneberg, sondern auch für Reinickendorf und Treptow. Saubere Luft und Schutz vor Straßenlärm sind Gerechtigkeitsfragen – auch für Menschen, die in den Außenbezirken leben.

Was sind denn die ersten Vorhaben, die Sie als Wirtschaftssenatorin anpacken wollen?

Noch bin ich nicht im Amt und will mich nach der Senatsbildung erst einmal mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung vorstellen. Im Koalitionsvertrag sind die ersten Vorhaben, wie die Änderung des Gesetzes, dass das Berliner Stadtwerk bisher knebelt und eine bessere Kapitalausstattung des Stadtwerks formuliert.

Welche Rolle spielt für Sie die Digitalisierung der privaten Wirtschaft, aber auch der öffentlichen Hand? Berlin steht da im Wettbewerb der Städte nicht vorn, hier funktioniert nicht mal das W-Lan.

Digitalisierung spielt für Handwerk, Mittelstand und Industrie eine riesige Rolle. Da müssen wir unterstützen, beraten und fördern. Der Glasfaser- und 5G-Ausbau muss in Berlin vorangebracht werden, das gilt für die öffentlichen Liegenschaften, für Gewerbe- und Wohngebiete. Die Landesbetriebe können hier mit ihren Infrastrukturen helfen.

Die landeseigene Messe braucht dringend 10.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, auch um das sanierungsbedürftige Messegelände wieder auf den neuesten Stand zu bringen. Kriegt die Messe eine zusätzliche Veranstaltungshalle, vergleichbar mit dem City Cube?

Die Messe soll zügig in die Lage versetzt werden, für Messen und Veranstaltungen neue Kapazitäten zu schaffen. So steht es im Koalitionsvertrag. Auch die Sanierung des Messegeländes darf nicht lange auf sich warten lassen.

Gibt es eine neue Halle?

Wir werden gemeinsam mit der Messe eine gute Lösung finden.

Für die Sanierung des ICC gibt es im Koalitionsvertrag nur eine vage Ankündigung. Warum konnte sich Rot-Rot-Grün nicht dazu durchringen, nach einer öffentlich finanzierten Schadstoffsanierung private Investoren dazuzuholen?

Das Problem ist nicht von heute auf morgen zu lösen, viel zu lange wurde es verschleppt. Die Messe hat aber aktuell Sanierungs- und Erweiterungsbedarf. Eine Sanierung des ICC dauert, vom Baubeginn an, mindestens drei bis vier Jahre. Und noch wohnen dort Flüchtlinge.

Wer macht künftig die Industriepolitik? Bleibt das Thema Chefsache, also in der Senatskanzlei?

Der Regierende Bürgermeister ist derjenige, der zum Steuerungskreis Industriepolitik einlädt, aber die Industriepolitik findet letztlich im Wirtschaftsressort statt. Wir haben ein gemeinsames Interesse und wollen die Dinge gemeinsam vorantreiben.

Hat eigentlich Michael Müller wirklich Abstand genommen von der Basta-Politik der Sozialdemokraten, gibt es die berühmte Augenhöhe zwischen den drei Regierungspartnern tatsächlich?

Die Koalitionsverhandlungen waren sehr intensiv und nicht immer einfach. Die alte Demütigungsnummer gab es in diesen Koalitionsgesprächen nicht. Das Klima war insgesamt gut und konstruktiv. Wenn das auch die Regierungsarbeit prägt, bin ich zufrieden.

Herr Müller rechnet mit einer schwierigen Zusammenarbeit. Diese Regierung werde viel Kraft kosten, sagte er. Was sagen Sie?

Ich neige nicht dazu, dunkle Schatten an die Wand zu malen. Ich bin zufrieden, dass die grüne Handschrift im Koalitionsvertrag gut zu erkennen ist. Ich freue mich auf die Herausforderung und habe natürlich hohen Respekt vor dieser Aufgabe. Die Stadt erwartet von uns, dass wir uns an die Arbeit machen.

Und bei den Grünen sind jetzt alle Flügelkämpfe beendet?

In meiner Partei sehe ich eine hohe Zufriedenheit zum rot-rot-grünen Regierungsprogramm. Wir haben ein gemeinsames Ziel. Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen und werden zeigen, dass wir das können.

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