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Aus Zucker. Immer wieder haben sich an der Karl-Marx-Allee Kacheln von den Fassaden der Baudenkmäler gelöst.

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Exklusiv

Designiertes Weltkulturerbe verfällt: Pfusch an den Zuckerbäckerbauten

Bei der Sanierung der Karl-Marx-Allee wurde gemogelt: Die eingesetzten Platten waren nicht zugelassen. Nun lösen sich die Fliesen – und müssen voraussichtlich alle Fassadenplatten der Bauten erneuert werden.

Die von den Fassaden der Karl-Marx-Allee herabfallenden Fliesen legen möglicherweise den Blick frei auf einen handfesten Bauskandal bei der Sanierung des Ensembles um das Jahr 2003: Ein Teil der damals eingesetzten Platten, auf denen Keramikfliesen aufgebracht sind, hätte niemals verwendet werden dürfen, weil sie dafür gar nicht zugelassen sind. Gleich zwei Gutachten über die Schäden an den früheren Prestigebauten des DDR-Regimes kommen deshalb zu dem Ergebnis, dass das designierte Weltkulturerbe zurzeit über gar „keine genehmigte Fassade“ verfügt. Einige der Häuser an der Karl-Marx-Allee und am Strausberger Platz könnte man demnach wohl auch als „Schwarzbauten“ bezeichnen.

Der Bauaufsicht ist das Problem bekannt, denn ein Gutachter hatte die Behörde eingeschaltet. Dort geht man davon aus, so hielt er fest, dass „ein erneutes Baugenehmigungsverfahren eingeleitet werden muss“, um den rechtlosen Zustand zu beenden. Betroffen sind Bauabschnitte des früheren Prachtboulevards vom Strausberger Platz bis hinunter zur Lebuser Straße und zur Andreasstraße.

Netze sollen vor fallenden Fliesen schützen.
Netze sollen vor fallenden Fliesen schützen.

© picture alliance / dpa

Wegen der Größe des Schadens ist zu befürchten, dass die einst prachtvollen Fassaden auf Jahre hinaus hinter Netzen und Gerüsten verschwinden, damit wenigstens kein Passant durch herabstürzende Fliesen erschlagen wird. Denn eine zweite durchgreifende Sanierung in gut zehn Jahren würde die Eigentümer dem Vernehmen nach überfordern. Die Wohnungen wurden erst vor wenigen Jahren an Privatleute verkauft. Deren Eigentümergemeinschaft hat noch nicht viel Geld zurückgelegt.

Die Karl-Marx-Allee soll wie das Hansaviertel Weltkulturerbe werden:

In dem Ensemble, das in mehreren Teilen ab den 50er Jahren errichtet worden war, hatte man bereits zu DDR-Zeiten mit herabstürzenden Fassadenkeramiken zu kämpfen. Nach der Wende kaufte eine Immobilien- und Bauträgerfirma einige der Altbauten von der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain und sanierte die Objekte in enger Abstimmung mit Bezirk und Denkmalschutzbehörden. Steuergelder in Millionenhöhe flossen in die hochsubventionierte Wiederherstellung des denkmalgeschützten Ensembles.

Eine Baugenehmigung wurde zwar noch eingeholt, diese spezielle Fassadenkonstruktion aber wohl niemals überprüft, obwohl das Gesetz dies bei „unregelmäßigen Bauwerken“ wie in der Karl-Marx-Allee vorschreibt. Trotzdem stellte die Bauaufsicht einen „Schlussabnahmeschein“ für die wohl rechtswidrige Maßnahme aus. Dabei gab es vor Beginn der Sanierung eine lange Diskussion über die Wahl des geeigneten Fassaden-„Systems“. Drei „gängige“ Alternativen wurden sogar einem „gutachterlichen Vergleich“ unterzogen. Warum keine von diesen zum Einsatz kam, ist unklar.

Sachverständiger erstellte Gutachten zur Baustatik

Sanierung mit Mängeln.
Sanierung mit Mängeln.

© dpa

Nun werden voraussichtlich alle Fassadenplatten der Bauten erneuert werden müssen. Denn der Austausch von ein paar Fliesen würde an dem rechtlosen Zustand nichts ändern: „Mit dem Stand heute ist eine Reparatur der Vorhangfassade auf Grund Nichtvorliegens von benötigten Prüfungen und Genehmigungen juristisch nicht möglich“, heißt es in dem Gutachten vom 3. November 2010. Der Experte erklärt auch warum: Bei der Sanierung sei wohl eine „FBK Flachplatte“ der Firma Faserbetonwerk Kolbermoor eingesetzt worden. Deren „bauaufsichtliche Zulassung“ lege eindeutig fest, dass diese „außer der Eigenlast, Wind und gegebenenfalls Eis- und Schneelasten keine weiteren Lasten aufnehmen darf“ – Fliesen also schon gar nicht.

Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) forderte nach Eingang der Tagesspiegel-Anfrage das Bauamt auf, den Fall auf Grundlage der noch archivierten Akten zur Baugenehmigung zu prüfen. Spannend wird vor allem der Bericht des vereidigten Sachverständigen zur Baustatik sein, zu der auch die Fassadenkonstruktion zählt. Denn auf Grundlage dieses Gutachtens habe die Behörde die Sanierung genehmigt und die Schlussabnahme bestätigt. Schulz zufolge hatte der Bauträger beim Senat außerdem einen Antrag für einen nicht geprüften Kleber eingereicht, soll diesen später -aber zurückgezogen haben. Unklar ist, ob auch ein Antrag für die Fassadenplatten eingereicht wurde.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bestätigte, dass die Sanierung vom Denkmalschutz begleitet wurde. Mehr war zunächst nicht zu erfahren. Der Bauträger ist insolvent, der Gutachter verstorben.

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