zum Hauptinhalt
Den Menschen zugewandt. Vor ein paar Wochen hat Mehmet Balikci die Bar namens Capture eröffnet.

© Sven Darmer

Neue deutsch-türkische Schwulenbar: Friedrichshain hat noch queeres Potenzial

Eine deutsch-türkische Schwulenbar? „Selbst für Berlin nicht alltäglich“, sagt Mehmet Balikci. Seine Kneipe soll auch ein Zeichen setzen.

Wer auf ein Getränk in der Bar von Mehmet Balikci vorbeikommt, dem sollte schnell auffallen, dass er nicht in irgendeiner Bar in Friedrichshain gelandet ist. Vor ein paar Wochen hat der gebürtige Baden-Württemberger mit türkischen Wurzeln in der Wühlischstraße 32 eine Schwulen-Bar eröffnet. „Ich glaube, das ist selbst für Berlin nicht alltäglich“, sagt der 39-Jährige und zupft an seinem Muskelshirt herum. Hinter ihm prangt das Schild „Zutritt erst ab 18 Jahren“ an der Glastür.

Seine Bar hat Balikci passenderweise im „Pride Month“ aufgemacht. Im Juni fanden sich weltweit zahlreiche Organisationen und Menschen zusammen, um gemeinsam ein Zeichen gegen Diskriminierung und für mehr Toleranz zu setzen. Für mehr Vielfalt sorgt Balikci auch – nicht nur im Kiez, sondern auch berlinweit. „Soweit ich weiß, bin ich der erste deutschtürkische Gay-Barbetreiber Berlins“, sagt Balikci und zündet sich eine Zigarette an.

Im Hintergrund wirft das Discolicht bunte Punkte durch den Raum. „Das Schöne an solchen Lichtern ist, du kannst mit ihnen ein wohliges Gefühl bei den Menschen hervorrufen“, sagt er. An der Wand seiner Bar hängen Unterhosen hinter einer goldgerahmten Vitrine – alles Panties seiner Freunde. Draußen weht eine Regenbogenfahne vor der roten Neonleuchte mit der Inschrift „Capture“.

Zuvor arbeitete er ehrenamtlich mit minderjährigen Geflüchteten

Balikci ist ein zugewandter Gesprächspartner. Durch seinen festen, warmen Blickkontakt gewinnt er schnell das Vertrauen seines Gegenübers. Seine Offenherzigkeit hilft ihm auch bei der ehrenamtlichen Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, die er vorerst schweren Herzens hinter sich lassen muss, wie er sagt. Die Bar braucht in den ersten Monaten seine volle Aufmerksamkeit. Wenn sich alles eingefunden hat und seine Zeit es zulässt, möchte Balikci die Jugendlichen weiter unterstützen. Die Beziehung zu seinen Schützlingen sei sehr gut. Um besser mit ihnen kommunizieren zu können, hat er sogar angefangen, Farsi zu lernen. Das helfe, den Kontakt zu den Jugendlichen aufrechtzuerhalten.

[Mehr Neuigkeiten aus der queeren Welt gibt es im monatlichen Queerspiegel-Newsletter des Tagesspiegel - hier geht es zur Anmeldung.]

Aber erst mal widmet sich Balikci seiner Bar. „Ich sehe in Friedrichshain noch viel Potenzial für die queere Community“, sagt er. Im Süd-Friedrichshainer Kiez fühlt sich der Wahl-Neuköllner wohl. Bis vor Kurzem hat Balikci keine fünf Gehminuten entfernt im Café „Intimes“ gekellnert, das zu dem derzeit geschlossenen Traditionskino an der Boxhagener Straße Ecke Niederbarnimstraße gehört.

Es ist Balikcis zehntes Jahr in Berlin. Im Dezember 1998, als Berlin vielerorts noch einer großen Baustelle glich, kam er zum ersten Mal als Besucher. „Als ich die Schwulen-Community gesehen habe, hat mich das total beeindruckt.“ In Süddeutschland aufgewachsen, war er den Freimut nicht gewohnt. „Ob schwul oder nicht, jeder hat gelebt, wie er wollte, getragen, was er wollte, und es hat niemanden interessiert.“ Das hat ihn nicht mehr losgelassen. Einige Jahre später zog er her.

Ein positiver Kulturschock

Für Balikci war es am Anfang ein kleiner Kulturschock – im positiven Sinne. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich so viele schwule Männer an einem Ort gesehen“, erzählt er. Locations wie der „Südblock“ am Kottbusser Tor oder die Partyreihe „Gayhane“ mit seinem HomoOriental-Dancefloor im SO36 haben ihn tiefer in die Szene gebracht.

In Berlin hat er das Gefühl, sich kaum für seine Homosexualität rechtfertigen zu müssen. In der Türkei hatte er sein offizielles Coming-out noch nicht. Ein Großteil seiner Familie und auch seine türkischen Freunde wissen oder ahnen es. Seiner Mutter hat er bis heute nichts davon erzählt. „Aber auch in der Türkei gibt es eine lebendige Schwulenszene mit Bars und Partys“, sagt Balikci.

Er kennt einige Leute der bedeutenden LGBTI-Vereinigung „Lambda Istanbul“, die sich seit 1993 in der queeren Szene Istanbuls mit Pride-Märschen und Demonstrationen unerschrocken gegenüber der traditionellen Gesellschaft zeigt. Tausende Menschen haben erst vergangenes Wochenende an der Parade in Istanbul, teilgenommen, bevor die Polizei sie mit Tränengas aufgelöst hat.

Häufig kommt es zu Übergriffen in der Türkei

Wenn Balikci in Istanbul ausgeht, hält er sich aber an die Bezirke, in denen er sein Schwulsein nicht verbergen muss. Homosexualität ist in der Türkei zwar legal, dennoch kommt es häufig zu Übergriffen. „In den konservativ geprägten Bezirken haben viele Menschen Vorurteile“, sagt er. Für sie widerspricht Homosexualität der Natur oder kommt einer Sünde gleich. Es sind nicht nur die Erwartungen an Balikci, Frau und Kinder zu haben, die er nicht erfüllen wird. „Viele türkische Menschen haben nicht nur Vorurteile, sondern vor allem Ängste, die sich teilweise durch ihre aggressive Haltung gegenüber Schwulen äußert“, sagt er.

„Berlin ist im Vergleich dazu ein Paradies, aber den gesellschaftlichen Druck spürst du in der Türkei genauso wie in Deutschland.“ Seine Schwulsein zeigt er in Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf oder Lichtenberg nicht öffentlich. Im tiefsten Neukölln könne er aber auch nicht Hand in Hand mit einem anderen Mann laufen, ohne blöd angemacht zu werden.

Mit seiner Bar möchte Balikci auch die gesellschaftliche Akzeptanz stärken. „Das Capture soll – wie der Name schon sagt – die Menschen einfangen. Alle sollen unter einem Dach Spaß haben, sich freuen und tanzen“, sagt er. Hinter den Tresen hat Balikci ein Amulett gehängt, blau und rund – das Türkische Auge soll laut Volksglaube böse Blicke abwenden. Dieser Tradition vertraut er schon seit seiner Kindheit. „Ich bin nicht abergläubisch, aber natürlich erhoffe ich mir, dadurch ein wenig vor böser Energie geschützt zu sein.“
Capture, tägl. 18-4 Uhr. Im Rahmen der Berliner Pride Week (19. bis 28. Juli) veranstalten Mehmet Balikci und ein befreundeter Künstler am 25. Juli ab 18 Uhr eine Vernissage im Capture. Eintritt frei.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false