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Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.

© Sparkasse Berlin

Deutsche Einheit: Was Berliner mit ihrem Begrüßungsgeld gemacht haben

Die Einheitsausstellung „100DM“ fragt Ostdeutsche, wofür sie nach dem Mauerfall ihr Begrüßungsgeld ausgaben. Zehn Ost-Berliner berichten.

Die erste Westjeans, die erste Grönemeyer-Platte, die erste Plaste-Glitzer-Puppe oder die erste Italien-Reise: Die 100 Mark Begrüßungsgeld, auf die jeder DDR-Bürger bei Aufenthalt im Westen Anspruch hatte, ermöglichten vielen nicht nur das Erfüllen lang gehegter Wünsche, sie war auch Eintrittskarte in das kapitalistische System – das manche euphorisierte, andere abstieß.

Eine Ausstellung anlässlich des Tages der Deutschen Einheit ermöglicht nun einen Blick auf diesen Teil der Wendegeschichte. „Der Mauerfall ist 30 Jahre her und niemand hat sich mal wirklich intensiv mit dem Thema beschäftigt, das ist doch eigentlich unglaublich“, findet Projektinitiatorin Daniela Augenstein. Ein Freund erzählte ihr, was er damals gekauft hatte: „Ein Skateboard, einen Rucksack und Fruchtjogurt. Ich fand das spannend, gerade auch aus meiner, in gewisser Weise naiven West-Perspektive heraus, ich war damals 9 Jahre alt.“

Deshalb initiierte die frühere Sprecherin von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller gemeinsam mit einem Freund aus Schulzeiten, dem Projektmanager Florian Römmele, das Ausstellungsprojekt „100DM“, das ab Montag auf dem Bürgerfest zur Einheit auf der Straße des 17. Juni zu sehen sein wird. „Die Einkäufe mit dem Begrüßungsgeld sind ja nicht nur sehr persönliche Geschichten und Erinnerungen, sondern erzählen uns auch etwas über die Zeit damals“, sagt Mitinitiator Römmele. „Das Begrüßungsgeld ist wie ein Brennglas, da werden die positiven Seiten genauso sichtbar wie die negativen. Und mir ist es wichtig, dass jeder das Recht auf seine eigene Geschichte hat und auch den Raum bekommt, sie zu erzählen.“

Konsum oder Angebot zur politischen Teilhabe?

So fragten die beiden mit einem Team aus Autoren und Fotografen Ostdeutsche zwischen Vogtland und Mecklenburg-Vorpommern – und aus Berlin: Was haben Sie damals mit Ihrem Begrüßungsgeld gemacht? Herausgekommen sind Porträts von Menschen, die so unterschiedlich sind wie die Konsumgüter, die sie sich damals gekauft haben, die Reisen, auf die sie gegangen sind, die Sorgen, die sie angesichts der politischen Umwälzungen beschäftigten.

Denn mit dem Mauerfall trafen zwei Gesellschaftsbilder aufeinander und viele empfanden das Begrüßungsgeld nicht als Angebot zur politischen Teilhabe, sondern lediglich zum Konsum.

In der Ausstellung werden die Geschichten neben den dazugehörigen, in schrillen Farben visualisierten Produkten gezeigt – oder neben einem leeren Einkaufswagen, als Symbol für diejenigen, die das Geld nicht abholten. Das private, leise Erleben wird den Walkmans, Glitzerbleistiften und Farbfernsehern gegenübergestellt.

Aus fast jeder Altersklasse sind Protagonisten dabei – auf die 100 Westmark hatten schließlich alle DDR-Bürger Anspruch, vom Baby bis zum Rentner. Und das bereits seit 1970, nicht erst nach dem Mauerfall. Ursprünglich sollten damit ostdeutsche Reisende, in der Anfangszeit vorwiegend Rentner, unterstützt werden. Der Obolus in Höhe von 30 DM konnte zweimal pro Jahr in Anspruch genommen werden. Im Jahr 1988 wurde der Satz auf 100 DM erhöht, man konnte jedoch nur noch einmal jährlich davon Gebrauch machen.

Für Daniela Augenstein hat die Ausstellung „100DM“ auch Archivcharakter. „Ich finde, diese Geschichten – oft die ersten Westerfahrungen – sollten nicht verloren gehen.“ So lasse sich Wendegeschichte lebendig erzählen, also genau das richtige Projekt für den 30. Jahrestag des Mauerfalls in 2019. „Wir hoffen, dass wir im nächsten Jahr weitermachen können, mehr Geschichten sammeln und zeigen, eine Art kollektives Gedächtnis schaffen können.“

Mitarbeit: Mandy Schielke. Das Projekt „100DM“ wird durch die Lottostiftung Berlin gefördert. Die Autorin dieses Textes ist an der Arbeit zur Ausstellung beteiligt.

Von 1. bis 3. Oktober, also von Montag bis Mittwoch, feiert Berlin das Bürgerfest „Nur mit Euch“ zum Tag der Deutschen Einheit rund um Reichstag, Brandenburger Tor und auf der Straße des 17. Juni. Zu dem dreitägigen Bürgerfest werden mehr als eine Million Besucher erwartet. Die Open-Air-Ausstellung „100DM“ mit 28 Porträts ist im Bereich „Geschichte & Erinnern“ zu finden, direkt vor dem Sowjetischen Ehrenmal. Aber auch über die Ausstellung hinaus werden Geschichten zum Begrüßungsgeld gesammelt. Teilen Sie diese gern auf der Webseite www.100dm.de oder in den sozialen Kanälen unter dem Hashtag #100dm.

Wie die letzten dummen Zonis

Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.
Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.

© Sparkasse Berlin

Karla Röhner-Münch, 76, und Volker Münch, 84, beide Rentner:

Wir wirkten wie die letzten dummen Zonis. Drei Monate vor dem Mauerfall haben wir geheiratet. Volkers 18-jähriger Sohn wartete noch die Hochzeit seines Vaters ab und ging kurz darauf, im September 1989, in den Westen. Er wohnte zunächst bei Volkers Bruder in der Eifel, der Onkel hatte ihm dort einen Job besorgt. Vor dem Jahreswechsel stiegen dann auch wir in unseren Wartburg und fuhren zu Volkers Bruder, zu seinem Sohn, zur familiären Wiedervereinigung. Unser Begrüßungsgeld, das wir vermutlich am Bahnhof Zoo abholten, ging wohl gänzlich für den Sprit drauf. Der Wartburg, wie der Trabi ein Zweitakter, fuhr ja mit einem Benzin-Öl-Gemisch.

Das gab es an DDR-Tankstellen natürlich an der Zapfsäule, aber im Westen mussten wir dafür ein Teil Benzin mit einem Teil Zweitakter-Öl in einem großen Pott mischen, mit einem Holzlöffel umrühren und es dann per Trichter in den Tank füllen. Nach Silvester, als wir unsere Heimreise antraten, sagte Volkers Bruder: „Ihr müsst nicht extra tanken fahren, ich habe noch ganz viel Öl unten in der Garage.“ Und befüllte unseren Wartburg mit seinem hausgemachten Benzin-Öl-Gemisch.

Was er ignoriert hatte: Es handelte sich nicht um Zweitakter-, sondern um normales Motorenöl. Das wurde dann in der Innenstadt deutlich, an jeder grünen Ampel gab es eine Fehlzündung, eine kleine Explosion. Karla versank vor Scham im Boden, weil wir wie die letzten dummen Zonis wirken mussten. Protokoll: Constanze Nauhaus

Der Umgang mit Geld im Osten war toll

Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.
Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.

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Annekatrin Hendel, 54, Regisseurin, Produzentin, Drehbuchautorin:

Der Umgang mit Geld im Osten war toll. Bühnenbildnerin am Theater war ich damals, als viele unserer Schauspieler angesichts des Mauerfalls, in den sie große Hoffnungen setzten, euphorisch waren. Mir hingegen war klar, dass der Osten Deutschlands jetzt ganz schlicht eingemeindet wird. Ich hatte also keine Hoffnung auf etwas wirklich Neues. Deshalb wollte ich auch das Begrüßungsgeld nicht „sinnvoll“ einsetzen. Und dachte: „Willkommen in der Überflussgesellschaft“.

Ich bin jetzt also nicht mehr Bürger, sondern Konsument. Und mein Sohn, damals fünf Jahre alt, sollte sofort begreifen, was „Überfluss“ bedeutet. Dass ab jetzt solche Sehnsuchtsobjekte wie Mars-, Snickers-, Bounty-Riegel unbegrenzt zu haben sein werden. Also habe ich von dem Geld in einem Supermarkt am Hermannplatz Süßigkeiten gekauft – Süßigkeiten für hundert D-Mark.

Bis zur Kotzgrenze: Schokolade, Gummibärchen, alles. Mit zwei vollen Plastiktüten kam ich nach Hause in unsere Zwei-Zimmer-Wohnung am Ostkreuz. Die war immer voller Zeug, denn als Bühnenbildnerin sammelte ich in der Mangelwirtschaft, in der wir bis zu diesem Moment lebten, praktisch alles. Ich kippte die Tüten auf dem zugemüllten Schreibtisch aus.

Mein Sohn hat gestrahlt. Aber er war auch nicht völlig aus dem Häuschen. Er erlebte den Mangel vorher ja nicht als Mangel. Und auch, wenn ich die DDR nicht zurückhaben will: Der Umgang mit Geld, beziehungsweise ohne, im Osten war toll. Ich habe sehr viel verdient mit illegalen Geschäften. An einem Tag mehr als meine Eltern im Monat. Aber mit dem Geld konnte man ja nicht wirklich etwas anfangen. Wenig oder viel, es spielte keine Rolle. Die, die nichts oder wenig hatten, wurden mitgenommen und eingeladen. Das war eine große Form der Freiheit. Und dass sich das schlagartig ändern würde, war klar. Man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, mit welcher Sorglosigkeit man lebt, wenn Geld egal ist. Protokoll: Constanze Nauhaus

Das Telespiel war mein ganzer Stolz

Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.
Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.

© Sparkasse Berlin

Hannah Bloch, 39, Social-Media-Redakteurin:

Das Telespiel war mein ganzer Stolz. Meine Geschichte handelt eher davon, wofür ich mein Begrüßungsgeld nicht ausgegeben habe. Ich war neun Jahre alt und wir fuhren nach West-Berlin zu einem Markt, der vermutlich extra für Ossis war, alles war bunt in Plastik verpackt! An einem Stand gab es Spielzeug und da lagen ganz viele Telespiele, so eine Art Gameboy mit nur einem Spiel. Ich wusste, dass ich irgendwas von dem Markt kriegen würde, aber selbst damals war mir irgendwie klar, dass so ein Spiel viel zu wertvoll war.

Ich hatte im selben Jahr erst ein anderes Telespiel zum Geburtstag bekommen, das meine Eltern für wahnsinnig viel Geld im Intershop gekauft hatten. Es war mein ganzer Stolz. Ich muss schon sehr lange rumgestanden haben und irgendwann fragte ich die Verkäuferin, was ein Telespiel kostete. Die Frau fragte: „Möchtest du denn gern eins haben?“ Ich nickte. Sie daraufhin: „Hier, dann nimm eins! Ich schenke es dir.“ Ich konnte nicht glauben, dass mir diese wildfremde Frau so etwas Wertvolles einfach schenkt.

Viel später habe ich erfahren, dass diese Telespiele im Westen gar nicht so teuer waren, aber selbst heute empfinde ich noch eine tiefe Dankbarkeit für diese Frau. Ich habe die Wende als etwas sehr Positives erlebt und diese Geschichte hat eindeutig ihren Anteil daran. Der Westen stellte vor allem Möglichkeiten da, die wir vorher nicht hatten. Meine Eltern waren eher DDR-kritisch gewesen und wir hatten immer ein bisschen das Gefühl, eingesperrt zu sein. Für uns war die Wende ein absolut positives Ereignis. Protokoll: Caro Wedekind

Die Demonstration des Überflusses stieß mich ab

Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.
Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.

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Viola Türk, 58, Pfarrerin:

Die Demonstration des Überflusses stieß mich ab. Ich erinnere mich, dass ich das Geld am Wittenbergplatz abgeholt habe. Die Sonne schien, und es könnte schon Dezember gewesen sein, denn bei der Gelegenheit habe ich mir das KaDeWe angeguckt. Ich weiß noch genau, wie entsetzt ich von dieser Ansammlung von Zeugs war. Pyramidenweise Weihnachtssüßigkeiten – diese Demonstration des Überflusses, den keiner braucht. Das stieß mich ab.

Das Begrüßungsgeld war für mich kein einschneidendes Ereignis, ich hatte immer schon ein bisschen Westgeld – von meinem Großvater geerbt, da bekam ich jedes Jahr Zinsen. Deshalb war ich auch nicht so versessen darauf, das sofort in irgendwelche Jeans umzusetzen. Ich bin auch nicht groß in Geschäfte gerannt oder habe auf der Straße gedacht, so wie die Westler muss ich mich jetzt auch einkleiden. Ich fand uns viel schicker! Zwar ein bisschen komisch, mit unseren Jeans und schwarzen Klamotten, aber besser als die grellbunten Anoraks im Westen.

Dann aber wurde das Konzert der Rolling Stones im Sommer 1990 im Olympiastadion angekündigt. Mein damaliger Mann wollte unbedingt hin. Ich war zwar kein großer Stones-Fan, aber wir haben uns trotzdem zwei Karten gekauft. 65 oder 70 Mark kostete eine. Während des Konzerts wurde meinem Mann dann plötzlich schlecht, sein Arm tat weh – er hatte kurz zuvor Reiseimpfungen bekommen. Also sind wir mittendrin gegangen – bei „Sympathy For The Devil“. Ich fand das nicht schlimm. Ich hatte nun die Stones gesehen und gehört und wieder mal gemerkt, dass Rockmusik eigentlich nichts für mich ist. Protokoll: Constanze Nauhaus

Vor der Wende hatten wir nie Westgeld

Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.
Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.

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Andreas Prüfer, 59, Büroleiter des Kultursenators:

Vor der Wende hatten wir nie Westgeld. Die persönlichen Umbrüche haben mich nach dem Mauerfall viel mehr tangiert als das Geld. Ich hatte aber auch nie das Gefühl von Mangel. Was anerzogen ist, klar. Etwa der Farbfernseher: Der kostet 6000 Mark, das können wir uns nicht leisten, aus. Ich habe darüber nicht mehr nachgedacht, das war eben so. Wir hatten einen Robotron-Kofferfernseher, der reichte. Ein anderes Thema ist, was man am 9. November dachte, aber auch da hatte ich keine Angst, die Welt gehe jetzt unter.

An manchen Aktionen, die unsere Selbstständigkeit erhalten wollten, habe ich mich beteiligt. Das hatte auch immer mit der Partei zu tun, ich bin ja nie ausgetreten. Jetzt war es ja für die, die Demokratie und Sozialismus wollten, sinnvoll, drin zu sein. 1989 war ich im dritten Jahr fest beschäftigt, hübscherweise in der Leipziger Straße – ich komme ursprünglich aus Leipzig – im Haus der Ministerien. Unser Begrüßungsgeld haben wir spät abgeholt, wir hatten einfach keine Zeit. Wir hatten zu arbeiten, eine Revolution zu bewältigen, zu Demos zu rennen. Und dann haben wir die Erfahrung gemacht, dass Banken in der Dienstleistungsgesellschaft der „selbstständigen politischen Einheit“ West-Berlin nur bis 15 Uhr geöffnet hatten. Damit war der gemeine Ossi mit seinen ordentlichen Arbeitszeiten von 8 Stunden und 45 Minuten raus.

An einem Dezembertag holte mich meine Familie ab und wir sind zu viert über den Checkpoint Charlie. Das war der kürzeste Weg zum Postgiroamt an der Gitschiner Straße – das war bis sechs Uhr geöffnet. Am Wochenende haben wir bei Hertie am Halleschen Tor Anoraks für die Kinder gekauft. Sehr bunte, mit Blumenmuster, achtziger Jahre eben. Und kleine Simba-Bärenfiguren aus Velours, mit beweglichen Armen und Beinen. Und irgendwann zwei Walkmans – 20 Mark kosteten die im Westen, 500 in der DDR. Technik war ja Luxus. Vor der Wende hatten wir nie Westgeld. Ich hatte einmal am Ostbahnhof illegalerweise zehn Mark von einem Franzosen getauscht, mit einem Sensationskurs von 1:3. Um später im Intershop festzustellen, dass zehn Mark nicht viel sind. Protokoll: Constanze Nauhaus

Der C64 half mir, Computer zu verstehen

Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.
Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.

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Petra Meyer, 53, Steuerfachangestellte:

Der C64 half mir, Computer zu verstehen. Ich erinnere mich genau an die Zeit, als wäre es gestern gewesen! Mein damaliger Mann meinte: „Wer weiß, wie lange es das Begrüßungsgeld noch gibt!“ Also zogen wir am Samstag nach dem Mauerfall los, zusammen mit unseren Jungs, damals drei und vier Jahre alt. Erster Versuch: Eine Bank in Steglitz – geschlossen. Wir landeten bei einer Bankfiliale am Ku'damm, leicht zu erkennen durch die vielen wartenden Menschen davor. Ich bummelte an der Schlange entlang. Vor der Tür sah mich ein freundlicher junger Mitarbeiter mit den Jungs und meinte: „Familien mit kleinen Kindern zuerst!“

Am Schalter waren wir überrascht: Was? Den Kindern stehen auch je 100 DM zu? Damit hatten wir gar nicht gerechnet. Nicht weit entfernt winkte das KaDeWe. Ich studierte damals am Institut für Lehrerfortbildung in Potsdam, dort gab es den DDR-Heimrechner Robotron K87 und ich hatte Feuer für Computer gefangen. Wir also in die Elektronik-Abteilung des KaDeWe. Im Angebot: Ein C64-Computer für 333 DM – inklusive Kassettenlaufwerk und Spiel. Den haben wir gekauft.

Die Kinder suchten sich in der Schreibwarenabteilung lustige Anspitzer in Form eines Hubschraubers und eines Autos aus – und natürlich Süßigkeiten. Voll bepackt mussten wir am Bahnhof Zoo zur S-Bahn. Es war eng und voll, aber fremde Männer nahmen unsere Jungs auf die Schultern und trugen sie die Treppe hoch, bis zur Bahn. Der C64 half mir dabei, Computer richtig zu verstehen: Damals lernte man ja noch die Computersprache BASIC und schrieb seine Programme selber. Die so erworbenen Computerkenntnisse haben mir viel geholfen, als ich später auf Steuerfachangestellte umschulte. Protokoll: David Siebert

Die Leute haben sich kaufen lassen

Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.
Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.

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Daniel Bartsch, 47, Sprecher der Senatskulturverwaltung:

Die Leute haben sich kaufen lassen. Das Begrüßungsgeld habe ich damals nicht als Almosen gesehen, weil ich mich nicht als „armen Bruder aus dem Osten“ sah. Im Herbst ’89 war ich fast jeden Abend auf der Straße, habe mitdemonstriert und fand mich sowieso sehr cool mit meinen toupierten Haaren und dem weiß geschminkten Gesicht. Schnell kam das Gefühl, die Leute haben sich kaufen lassen. Gerade diejenigen, die sich das Geld dreimal abholten und sich dabei besonders clever fühlten. Das war so ein Trick: Wer mal im Ausland war, bekam in den Personalausweis eine Art Leporello eingeklebt.

Beim Geldabholen kam der Stempel in den Ausweis und dann klebten die Leute einfach das Leporello ein Stück weiter, über den Stempel. Für mich war das einerseits Gier, andererseits ein Riesen-Kotau vor dem anderen System. Durch die ganze Kohle und den Glitzerwesten war letztlich ein eigener Weg unmöglich. Der aber war ja mal Sinn des Ganzen – und so war ich im Dezember schon auf Anti-Wiedervereinigungs-Demos. Ost-Berlin hatte eine große Grufti-, heute sagt man Gothic-Szene, und es gab Orte in West-Berlin, die wir nur vom Hörensagen kannten. Wie das „Linientreu“ in der Budapester Straße.

Das machte schnell die Runde, dass man sich am 10. November abends dort treffen wollte. Die Mauerfallnacht hatte ich mit Kumpels im Wedding verbracht, schlief im Heizungsraum meiner Arbeit am nächsten Morgen meinen Rausch aus und fuhr mittags wieder zum Übergang Sonnenallee, dann zum „Linientreu“. Vorher habe ich meine 100 Mark abgeholt, die haben extrem lange gereicht. In den Clubs konnte man anfangs als Ossi in Ostgeld zahlen, zumindest für den Eintritt. Und die ersten Runden wurden eh ausgegeben. Am 16. März 1990 habe ich den letzten Rest ausgegeben, für das Album „Carved in Sand“ der britischen Band The Mission, am Hermannplatz. Für 15, 17 Mark, so was. Und ich war das erste Mal richtig Burger essen von dem Geld: in einem Imbiss in der Sonnenallee. Mit guter Cola. Protokoll: Constanze Nauhaus

Es hatte etwas Demütigendes

Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.
Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.

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Ekkehard Maaß, 67, Publizist und Liedersänger:

Es hatte etwas Demütigendes. Schon im Juni 1989 durfte ich in den Westen reisen, um meine kranken Eltern zu besuchen; sie waren 1974 in die Bundesrepublik übergesiedelt, nachdem mein Vater als Pfarrer in den Ruhestand gegangen war. Obwohl ich mich dabei nicht besonders wohl fühlte, holte ich beim zuständigen Amt das Begrüßungsgeld ab und beantragte auch gleich einen bundesdeutschen Reisepass. Es hatte etwas Demütigendes, wie als Mensch zweiter Klasse um Almosen zu betteln. Aber ich habe es getan und damit das Beste gemacht, was man als Ostler im Westen tun konnte: reisen!

Auch von der DDR aus war ich viel gereist und hatte „Unerkannt durch Freundesland“ – so der Titel eines Buches dazu – die ganze Sowjetunion bereist, das Baltikum, wo meine Vorfahren herstammten, Russland, Sibirien, den Kaukasus, Georgien, aber jetzt wollte ich endlich auch Westeuropa sehen. Im Juli 1989 besuchte ich erneut meine Eltern, holte meinen inzwischen fertigen Reisepass ab und raste mit meinem estnischen Freund Mati im Auto der Eltern eine Woche lang durch Italien: Ravenna, Florenz, Siena, Bologna, Rom, Neapel!

Neben den wahnsinnigen Museen, Kirchen, der toskanischen Landschaft, in der wir zufällig auch noch die Hochzeit meines Freundes Marcello erlebten, rührte mich besonders die kleine Stadt San Gimignano. Die Adelstürme erinnerten mich an die Wohn- und Wehrtürme im Kaukasus, und als ich auch noch natürlich gekelterten Wein entdeckte, der so schmeckte wie der in Georgien, war ich vollends begeistert. Da wurde mir klar, dass Europa eins ist und zusammengehört! Auch wenn ich es vielleicht nicht mehr erleben werde, träume ich seitdem von den Vereinigten Staaten von Europa, in denen man stolz sagt: „Ich bin Europäer!“ Protokoll: Hanno Harzbecker

Willkommen im Kapitalismus

Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.
Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.

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Marion Brasch, 57, Hörfunkjournalistin und Autorin:

Willkommen im Kapitalismus, dachte ich. Ich hab’ kurz überlegt, mir das Begrüßungsgeld zweimal abzuholen, mit Personalausweis und Pass. Ich dachte, vielleicht könnte man so dem Kapitalismus schaden. Aber das war natürlich Quatsch, dieses Geld floss ja eins zu eins wieder in den Wirtschaftskreislauf. Außerdem ließen wir uns in gewisser Weise schon beim ersten Abholen kaufen. Es war ohnehin peinlich, was nach dem Mauerfall passierte. Ich habe mich für meine Landsleute geschämt, die sich vor den Lkws rudelten, von denen Bananen und Coca-Cola geschmissen wurden. Also blieb es bei hundert Mark. Damit bin ich nach Kreuzberg in die Bergmannstraße gegangen, da gab es damals verschiedene Plattenläden. Kurz zuvor war „Spike“ von Elvis Costello erschienen, das Album wollte ich unbedingt haben.

Für 20 Mark kaufte ich die CD, trug sie nach Hause und legte sie in den Player der kleinen Kompaktanlage, die ich von meinem Vater geerbt hatte, nachdem er im Sommer 1989 gestorben war. Ich legte sie also ein, aber nichts passierte. Sie spielte nicht ab. Erst dachte ich, es liegt am Gerät, aber auch bei einem Freund funktionierte es nicht. Also bin ich zurück in den Laden, um die CD umzutauschen. Aber der Verkäufer sagte, nein, Umtausch komme nicht infrage. Wisse er doch nicht, was ich damit angestellt habe. So nach dem Motto: Diese dummen Ostler haben doch keine Ahnung, und mit denen kann man’s ja machen. Das war mein erstes Schlüsselerlebnis im Westen. Willkommen im Kapitalismus, dachte ich. Die CD habe ich mir dann trotzdem noch mal gekauft. Aber in einem anderen Laden. Protokoll: Constanze Nauhaus

Dann war es einfach nur eine Hose

Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.
Anstehen für das Westgeld vor den Banken in Berlin im Jahr 1989.

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Andreas Geisel, 52, Berlins Innensenator:

Und dann war es einfach nur eine Hose. Ich habe zu der Zeit in Dresden studiert. Am 9. November war ich mit Freunden abends aus, und als wir später ins Studentenwohnheim zurückkamen, feierten alle. Sie erzählten uns, die Mauer sei gefallen, aber das konnte ich an dem Abend nicht so richtig glauben. Und auch am nächsten Tag war ich vormittags erst im Seminar und dann sogar noch in einer Klausur, aber in den Westen wollten wir dann schon. Nach Berlin natürlich, wohin sonst? Ich bin schließlich Berliner. In Dresden – wir hatten ja kein Westfernsehen – hielt sich allerdings das Gerücht, man brauche ein Visum.

Also stand ich an diesem Freitag noch vier Stunden auf dem Dresdner Polizeirevier an, um mir den Personalausweis stempeln zu lassen. Aber als ich dann nach der nächtlichen Zugfahrt morgens gegen sechs Uhr an der Sonnenallee das erste Mal nach West-Berlin gelaufen bin, wollte niemand meinen Ausweis sehen. Auf den DDR-Stadtplänen war der Westteil der Stadt ein weißer Fleck, ich wusste also gar nicht, wie es dort aussieht. Und dass die Sonnenallee so elend lang ist! Zwischendurch bin ich mit dem Bus gefahren. Ich vermute, das durften wir DDR-Bürger damals gratis? Denn da hatte ich noch kein Westgeld für den Fahrschein.

Das Begrüßungsgeld habe ich mir dann weiter oben auf der Sonnenallee abgeholt, an einer Sparkasse. Da stand ich neben einem Obst- und Gemüseladen an. In der Auslage wirkten sogar die Pflaumen sortiert. Es war alles so unwirklich – der Mauerfall war das Glück meines Lebens, ein lang herbeigesehntes Ereignis. Und als er dann plötzlich Realität war, sah ich auf der Sonnenallee auch nur Menschen und Häuser, Bäume und Straßen, sogar mit den gleichen alten Granitplatten wie bei uns. Obwohl die Welt dort doch hätte Kopf stehen müssen.

Alles war so komisch normal. Ebenso meine erste West-Hose: Bei Karstadt am Hermannplatz kaufte ich mir von meinem Westgeld einige Tage später eine Levi’s 501, mit einem leichten Stonewashed-Effekt, das war damals modern. Ich hatte mir diese Hose lange gewünscht. Und als ich sie dann anhatte, war es einfach eine Hose. Protokoll: Constanze Nauhaus

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