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Berlin: Deutsche Farbenlehre

Das viele Schwarz-Rot-Gold – ist das wirklich nur harmlose Fußball-Begeisterung? Ein Pro & Contra

Das Fußballfieber hat Deutschland gepackt, und schwarz-rot-goldene Flaggen wehen so viele wie nie. „Wir verkaufen jeden Tag Deutschlandfahnen in dreistelliger Zahl“, berichtet Jens Hennlein vom Flaggenhaus am Alexanderplatz. Die deutschen Farben scheinen wieder salonfähig zu sein. Schwarz-Rot-Gold, wohin man blickt – an Fahrrädern, Autos, Balkonbrüstungen, sogar an Wagen der Stadtreinigung. Für den BSR-Mann Thomas Bolz ist das ganz selbstverständlich: „Wir freuen uns, dass die WM in Deutschland stattfindet, und wollen zeigen, dass wir hinter unserer Elf stehen. Andere Völker stehen doch auch zu ihrem Land.“

Dennoch war das Flaggezeigen hierzulande lange verpönt. Obwohl die deutschen Farben alles andere als nationalistischen, sondern republikanischen Ursprungs sind: Sie entstammen der Befreiungskriegen des frühen 19. Jahrhunderts, als auch das Lützowsche Freikorps gegen Napoleon kämpfte. Dessen Jacken waren schwarz, die Samtaufschläge rot, und die Knöpfe leuchteten golden. Diese Farben übernahmen später freiheitliche Burschenschaftler und Republikaner, und nach der Revolution 1848 erklärte die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche Schwarz-Rot-Gold zur deutschen Fahne, was die Verfassungen der Weimarer und später der Bundesrepublik wieder aufnahmen (während das Kaiserreich Schwarz-Weiß-Rot und die Nazis das Hakenkreuz gehisst hatten).

Dennoch machte bis weit in die 90er Jahre hinein sich einer der Deutschtümelei verdächtig, der sich mit diesen Farben sehen ließ. Doch was sich schon bei den letzten großen Fußball-Turnieren angedeutet hat, ist nun bei der WM im eigenen Land offensichtlich: Flagge zeigen ist wieder in – geradezu eine Mode. Die Fahnen sind überall zu haben: in Einkaufsmärkten, Fanartikel-Shops, Kiosken oder auch beim Fotoladen um die Ecke. Mit dem übergroßen Angebot wachsen offenbar auch die Kauflust und der Wunsch, Farbe zu bekennen. „Die WM in Deutschland ist etwas völlig Außergewöhnliches, und da sollten wir vor allem den Gästen zeigen, dass wir zu unserem Land stehen und stolz darauf sind“, sagt Claudia Heimann aus Schöneberg. An ihren Fenstern hängen gleich drei Fahnen.

Dagegen ist die Beflaggung des offiziellen Berlin zu vernachlässigen. Für die Flughäfen, Bahnhöfe, Rathäuser und Straßenlaternen sind keine Deutschlandfahnen aus dem Depot geholt, sondern nur knapp 2000 Flaggen mit dem Fifa-WM-Logo aufgehängt worden. „In der Flaggenverordnung ist geregelt, dass beispielsweise zu Nationalfeiertagen oder Trauerfeiertagen hoheitlich beflaggt wird, aber nicht zu Sport- und Unterhaltungsereignissen“, erklärt Martin Steltner, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Inneres. Die Polizei untersagte am Sonnabend per Dienstanweisung das Anbringen von Flaggen an Polizeiautos. Leitenden Beamten war am Freitag aufgefallen, dass vor allem an der Fanmeile an fast allen Fahrzeugen Schwarz-Rot-Gold flatterte, „das hatte überhand genommen“, begründete das Präsidium das Verbot.

Simone Thomas dürfte das gefallen. An ihrem Fenster in Tempelhof hängt eine Fahne mit dem Totenkopf-Symbol. Die schwarz-rot-goldene Dekoration allerorten wertet sie als schlechtes Zeichen: „Dass Leute die deutschen Fahnen schwenken, finde ich bedenklich. Worauf soll man denn in Deutschland stolz sein?“

Sollte die deutsche Mannschaft aber weiterhin erfolgreich sein und ein gutes, langes Turnier spielen, dürften Skeptiker wie Thomas allerdings noch mehr ins Hintertreffen geraten. Während die Flaggenläden weitere Umsatzsprünge verbuchen dürften.

Lisa Garn

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