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Berlin: Deutschland-Unterricht

Seit Jahresbeginn müssen Zuwanderer an Integrationskursen teilnehmen Es geht nicht nur um Sprache, das Lernziel lautet: dazugehören

Eine Frau war anfangs vom Tisch abgerückt, hatte sich das Kopftuch ins Gesicht gezogen und sich in die Ecke gesetzt. Sie solle doch mit an den Tisch, hat die Lehrerin ihr gesagt. „Hier sind alle gleichberechtigt.“ Auch die anderen Kursteilnehmer haben die Frau herangebeten, und die rückte dann zwischen sie.

Das war so ein Moment, in dem aufblitzte, um was es hier geht. Mitmachen, dazugehören, Integration. Nicht nur in eine Lerngruppe, sondern in etwas Großes: in das Wertesystem Deutschland.

In einer kleinen Stichstraße in Kreuzberg sitzen im Hochparterre eines Wohnhauses zwei Gruppen in den neuen Integrationskursen und lernen Deutsch. Seit Jahresbeginn gibt es diese Kurse, sie sind Teil des neuen Zuwanderungsgesetzes. Bundesweit laufen derzeit 7925 Kurse mit 117 859 Teilnehmern, in Berlin sind es 804 Kurse mit 8639 Teilnehmern.

In der einen Kreuzberger Gruppe geht es kurz vor den Ferien um Ratschläge. Jenny von der Elfenbeinküste hat die verspiegelte Sonnenbrille in die kurzen Haare geschoben und liest. „Mein Großvater hört schlecht.“ Viele Hände gehen hoch. Ein Russe sagt: „Ich würde ihm einen Arzt empfehlen.“ Jenny sagt: „Ich würde ihm eine Schelle geben“, und lacht laut los. Die anderen verstehen nicht. Schelle? Klingel? Jenny holt mit dem Arm aus. Schelle, Ohrfeige.

Die beiden Gruppen in Kreuzberg sind klein, die Räume auch, das Treppenhaus ist ein bisschen schäbig, das sei die richtige Lernumgebung, sagt Mehmet Koc vom Kursträger bbw, moderne Bürobauten würden die Schüler nur einschüchtern, eine seltene Gemeinsamkeit. In den Klassen sitzen türkische Frauen, die als Kind nur drei Jahre zur Schule gegangen sind, neben Aussiedlern, die systematisches Lernen gewohnt sind und nach jeder Unregelmäßigkeit in der Grammatik fragen und afrikanischen Flüchtlingen, für die Deutsch die dritte Sprache ist.

„Die Kursteilnehmer integrieren sich gegenseitig“, sagt Lehrerin Cornelia Ruchay. Außer Deutsch lernen die Schüler auch Geduld und Toleranz. So erfüllt sich das Motto des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, unter dessen Federführung die Integrationskurse laufen. Es heißt: „Integration – voneinander lernen, gemeinsam leben.“ Für die Lehrerinnen bedeutet das Niveaugefälle zwar einen Spagat, aber andererseits differieren die Ziele der Teilnehmer auch: Yasemin sagt, sie wolle beim Elternabend der Kinder den Mut haben mitzureden, der quirligen Arsu fehlt bloß noch etwas Grammatik, einer der Männer will sich für die Arbeitssuche qualifizieren. Alle Teilnehmer sind Hartz-IV-Empfänger, für sie ist der sechsmonatige Kurs kostenlos.

Die fünf Stunden Unterricht pro Tag orientieren sich an sechs Deutschheften, das ist so viel Stoff, dass es kaum zu schaffen sei, sagen die Lehrerinnen. Hausaufgaben werden selten gegeben: „Manche Frauen haben vier, fünf Kinder zu versorgen, die schaffen das nicht“, sagt Cornelia Ruchay. Für die Ferien geben sie ihren Schülern auf, jeden Tag Deutsch zu sprechen und zehn neue Wörter zu lernen, denn hinterher kommt die Prüfung.

Mündliche und schriftliche Fertigkeiten werden getestet, dabei Fähigkeiten für den Alltag in Deutschland erlernt: Überweisungen ausfüllen, Telefonnachrichten aufnehmen. Doch das Personal in dem Büro, in dem diese Übung spielt, besteht außer „Dr. Heimerl“ und „Herrn Schmitz“ nur noch aus „Johanna“. Da scheint das wirkliche Deutschland moderner als das im Prüfungsheft.

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