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Berlin: Diaspora mitten in Wedding

Der Pfarrer Michael Glatter arbeitet im Soldiner Kiez. Zu ihm kommen vor allem muslimische Kinder

Michael Glatter ist evangelischer Pfarrer im Soldiner Kiez, er arbeitet in der Diaspora: Nur ein Viertel der Berliner, die hier in Wedding leben, sind Christen. 40 Prozent glauben an gar nichts, ein Drittel an Allah. Fünf Moscheen stehen auf dem Gebiet von St. Stephanus. In der Kita betreuen die evangelischen Erzieherinnen zwei Drittel muslimische Kinder. „Wenn man hier das Christentum offensiv vertreten will, muss man sein Haus aufmachen“, sagt Glatter.

Heute steht die Kirchentür wieder einmal sperrangelweit offen. Kalte Luft kommt von draußen rein und mit ihr muslimische Kinder in Winterjacken. Sie springen durch den Kirchenraum, ein paar Jungs stolpern die Altartreppen hoch und blättern in der aufgeschlagenen Bibel. Prompt beschweren sich ältere Damen, die gerade einem Posaunenkonzert gelauscht haben: „Das ist doch ungeheuerlich, das würden wir uns in der Moschee doch auch nicht trauen.“

Aber Pfarrer Michael Glatter ist froh, dass die Kinder kommen, sich umschauen, Fragen stellen. Die Jungs, die nur ein bisschen Unruhe stiften wollen, weist er zurecht und, als sie keine Ruhe geben, schickt er sie nach draußen. Glatter, 36 Jahre alt, will mit den Muslimen in der Nachbarschaft ins Gespräch kommen. Und so öffnet er seine Kirche auch für die muslimischen Fünftklässler der Carl- Kraemer-Schule, die jetzt vor dem Altar Weihnachtslieder singen. Kein alltäglicher Kirchenchor: Die Jungen tragen schwarzes Haar, viele Mädchen Kopftücher. Die Texte habe sie ein bisschen verändert, sagt die Lehrerin, denn es gebe muslimische Eltern, die ihren Kindern verbieten, das Wort „Christus“ in den Mund zu nehmen. Die Mehrheit habe aber nichts dagegen und den Kindern mache es großen Spaß, hier aufzutreten.

Über Weihnachten wissen sie bereits ganz gut Bescheid, weil ihnen die Lehrerin viel erzählt hat. Aber was dieses runde Becken da vorne ist, würde Hatice dann doch gerne wissen. „Baden da die Kinder drin?“ Interessiert hören sie zu, als ihnen der Pfarrer erklärt, was eine Taufe ist. „Wenn wir auf beiden Seiten das Bewusstsein wecken, dass sich die Religionen in manchem ähneln, in anderem nicht, dann haben wir hier in der Gemeinde schon viel erreicht“, sagt Glatter.

Zu einigen Moscheevereinen hat er zarte Bande geknüpft: Man lädt sich gegenseitig zu Festen ein und lotet aus, was miteinander geht und was eben nicht. Glatter möchte von den Gemeinsamkeiten ausgehen, zum Beispiel davon, dass Christen und Muslime ihren Gott lieben und darauf bauen, dass Gott die Menschen liebt. Und dass man ähnliche ethische Ausrichtungen habe. „Aber das ist vielen noch nicht so klar, da arbeiten wir dran.“ Viele Muslime seien nicht bereit, über ihre Religion Auskunft zu geben oder über die Rolle der Frau oder das Verhältnis von Staat und Religion.

Als der Pfarrer erklärt, dass Jesus auch im Koran auftaucht, dreht sich ein Jugendlicher um und sagt mit empörtem Blick: „Unser Prophet heißt Mohammed.“ Ja, Mohammed sei der wichtigste Prophet, erklärt Glatter ruhig, aber Jesus gebe es auch, als Unter-Prophet. Das glaube er nicht, entgegnet der Junge. Er will seinen Lehrer in der Moschee fragen. Könnte doch ein Anfang sein, ein Schritt hin zur Integration, wenn auch nur ein kleiner.

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