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Berlin: „Die alten Zöpfe müssen ab“

Alexander Brenner, der amtierende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, über Hilfe von außen in Zeiten der Krise und über machtlose Führungskräfte

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ist in einer schwierigen Lage. Erstmals in ihrer Geschichte hat sich im März die Versammlung der gewählten Vertreter selbst aufgelöst. Im Mittelpunkt des Eklats stand der amtierende Vorsitzende, Alexander Brenner. Vor zwei Jahren war der Chemiker und ehemalige Diplomat als unabhängiger Hoffnungsträger gewählt worden. Seitdem aber scheint die Gemeinde auf der Stelle zu treten. Zentrale Probleme wie die Integration der russischsprachigen Zuwanderer und das Finanzdefizit blieben ungelöst. Im September gibt es Neuwahlen.

Herr Brenner, wie geht es der Jüdischen Gemeinde: schlecht, sehr schlecht, miserabel?

Na, miserabel würde ich nicht sagen, aber schlecht – wie es eben allen finanzschwachen Institutionen in Berlin geht.

Geht es ihr nicht vielleicht noch ein bisschen schlechter als anderen? Die Gemeinde ist zutiefst zerstritten, nicht nur in Finanzfragen.

Zerstritten sind etliche jüdische Gemeinden.

Aber in Berlin merkt man es besonders!

Berlin ist ja auch die größte Gemeinde in Deutschland. Wir haben 12 000 Mitglieder, davon etwa 70 Prozent aus der ehemaligen Sowjetunion – mit allen Komplikationen. Aber die Zerstrittenheit ist nicht neu.

Viele Leute außerhalb Berlins sprechen von einer DauerNach-Galinski-Krise…

Das ist übertrieben. Unter Heinz Galinski herrschten ganz andere Zustände. Da hatte die Gemeinde 3000 bis 4000 Mitglieder. Und Galinski war eine sehr starke Persönlichkeit.

Die Repräsentantenversammlung hat sich vor einigen Wochen selbst aufgelöst. So weit ist der Streit noch nie gegangen.

Das war ein demokratischer Vorgang. Nach den ständigen Konflikten im Vorstand und in der Repräsentantenversammlung sagte man sich: lieber auflösen, als so weitermachen. Und in dem Punkt haben wir doch große Einigkeit gezeigt: Die erforderliche Dreiviertelmehrheit kam ohne weiteres zustande.

Aber das ist doch ein Offenbarungseid!

Nein. Das Parlament hat sich selbst aufgelöst in der Hoffnung, dass andere die Sache besser machen werden.

Worauf gründet sich diese Hoffnung?

Das ist eine gute Frage. Die Wahrscheinlichkeit, dass es besser wird, ist groß. Genauso gut ist es jedoch möglich, dass alles so bleibt, wie bisher.

Mit Hauen und Stechen?

In wichtigen politischen Fragen war man gar nicht so uneins.

Ach, wirklich?

Nehmen Sie das Verhältnis zu Israel. Da gibt es fast einen Konsens. Dass wir etwas für die Integration der Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion tun müssen, ist ebenfalls allen klar. Nur über das Wie gibt es unterschiedliche Vorstellungen.

Das Verhältnis zwischen den Gemeindevertretern und dem Vorstand ist zerrüttet.

Nur der Vorstand ist zerstritten und die Mitglieder der Repräsentenversammlung untereinander. Der Vorstand besteht aus fünf Personen. Vier von ihnen bilden eine Gruppe, die 2001 zur Wahl antrat. Ich wurde als Selbstständiger der Kompromisskandidat für den Vorsitz. Bei wichtigen Abstimmungen aber blieb ich immer in der Minderheit.

Wie konnte das passieren?

Groteskerweise hat der Vorstand selbst keine Geschäftsordnung. Das ist der eigentliche Grund für die Zerstrittenheit. Die Kompetenzen des Vorsitzenden sind überhaupt nicht definiert. Im „kollegialen Vorstand“ wird wirklich über alles abgestimmt. Selbst, wenn ich nach fünf Stunden Sitzung sage, wir müssen zum Schluss kommen, heißt es: Darüber stimmen wir ab – und wieder steht es vier zu eins fürs Weiterdiskutieren.

Sie konnten sich nicht durchsetzen?

So ist es. Um Verträge abzuschließen, braucht man zwei Unterschriften von Vorstandsmitgliedern. Wozu dann noch ein Vorsitzender?

Wussten Sie nicht, worauf Sie sich einlassen?

Nein. Ich habe auch den Fehler gemacht, dass ich kein Dezernat übernommen habe, wie vor mir Galinski und Kanal für Finanzen oder Andreas Nachama für Finanzen und Kultus. Aber die waren chronisch überlastet. Ich wollte mich lieber übergeordneten Fragen widmen. Aber das führte dazu, dass ich oft übergangen wurde.

Haben Sie schon vor der Auflösung Ihres Parlamentes daran gedacht, hinzuwerfen?

Öfter, öfter

Was hat Sie davon abgehalten?

Weil es das war, was die anderen erreichen wollten. Ich habe wohl auch eine masochistische Ader.

Sind Sie so masochistisch, noch mal als Kandidat für den Vorsitz anzutreten?

Da halte ich mich noch bedeckt. Das ist ein angenehmer Zustand, ich war noch nie so relaxed wie jetzt.

Was könnte denn dafür sprechen, noch einmal anzutreten?

Eine Unternehmensberatung müsste unsere gesamte Struktur überprüfen und Vorschläge machen, wo wir sparen können. Es gibt in der Jüdischen Gemeinde alte Zöpfe, und die müssen abgeschnitten werden.

Und was könnte Sie abhalten?

Die 21-köpfige Repräsentantenversammlung wählt aus ihrer Mitte fünf Vorstandsmitglieder, und die wählen einen Vorsitzenden. Ich frage mich: Lohnt es sich, diese Prozedur noch einmal mitzumachen? Ich bin nicht mehr der Jüngste – aber längst nicht so vergesslich und zittrig, wie manche behaupten. Da wird von manchen Vorstandsmitgliedern schon mit Schlägen unter der Gürtellinie gearbeitet.

Kann vielleicht ein Kandidat von auswärts einen Neuanfang in Berlin hinbekommen?

Ich hätte überhaupt nichts dagegen.

Wer kommt in Frage?

Es gibt da einen Haken: Vor den Wahlen 1997 – als Michel Friedman, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, im Gespräch war – wurde festgelegt, dass nur Kandidaten antreten können, die mindestens schon ein halbes Jahr in Berlin polizeilich gemeldet sind.

Sie selbst kamen vor zwei Jahren von außen.

Das war einer der Gründe, warum ich gewählt wurde: Ich hatte noch keine persönlichen Gegner.

Das hat sich aber schnell geändert.

Das hoffe ich nicht.

Sie rechnen noch mit Fürsprechern für den Fall, dass Sie wieder antreten?

Das hofft jeder, der sich zu Wahl stellt. Ich habe mich aber, wie gesagt, noch nicht entschieden. Aber wer nicht antritt, räumt automatisch den Platz für die anderen.

Die Gemeinde hat nicht nur personelle Probleme, sondern auch finanzielle. Wo kann gespart werden?

Der größte Posten ist das Personal. Einsparen hieße also, wir müssen entlassen. Aber wo? An unseren Schulen arbeiten zum Beispiel Psychologen. Brauchen wir die? Wir haben viele Betreuer in unseren Altersheimen. Sind so viele nötig? In unserem Restaurant überprüft jemand, ob die Kriterien für koscheres Essen eingehalten werden. Kann man darauf verzichten? Wir haben sieben Synagogen in der Stadt. Können da nicht welche zusammengelegt werden? Ich sage: All dies braucht eine große jüdische Gemeinde.

Man kann also gar nicht sparen?

Eigentlich ist das Defizit gar nicht so groß: Was ist eine Million Euro Defizit bei einem Etat von 25 Millionen Euro? Trotzdem müssen wir wirtschaftlicher arbeiten, aber es ist sehr schwer. Es sagt sich leicht, spart mal.

Dann machen wir mal einen ketzerischen Vorschlag: Was ist mit den Schulen?

Klar, die Schulen sind Zuschussgeschäfte, obwohl wir die gleichen Landeshilfen wie andere Berliner Privatschulen bekommen. Aber wir haben eben spezifische Probleme mit den Zuwandererkindern, die erst mal Deutsch lernen müssen. In Klassen mit Russisch sprechenden Kindern senken wir deshalb die Zahl der Schüler. Aber damit sinken die Landeszuschüsse, die sich nach der Klassengröße richten. Soll man jetzt sagen, dann machen wir die Klassen eben wieder voller und überlassen die russischen Schüler ihrem Schicksal?

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, sagt: Wenn die Integration gelingt, kann es eine Renaissance des Judentums in Deutschland geben.

Das ist Wunschdenken. Was heißt Renaissance? Es gibt das klassische deutsche oder russische Judentum nicht mehr. Und Sie wissen, warum. Aber eine Bereicherung für die jüdischen Gemeinden sind die Zuwanderer zweifellos, trotz aller Probleme.

Das Gespräch führten Christian Böhme und Amory Burchard

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